Spaniens ungelöste Probleme
25. August 2014Als Angela Merkel vor zwei Jahren Spanien besuchte, waren die Fronten klar. Hier ein Land, das ein Sechstel seiner Wirtschaftskraft verloren hatte und in dem jeder Vierte ohne Arbeit war. Dort die deutsche Kanzlerin, die noch größere Spar- und Reformanstrengungen forderte. Für die Medien und auch die meisten Spanier war Merkel "der Bösewicht", erinnert sich Jürgen Donges.
Der emeritierte Professor der Universität Köln war damals in Spanien, wo er viel Zeit verbringt. Hier ist er geboren, von hier kommt seine Frau. Immer wieder hat er über Fragen der spanischen Wirtschaft publiziert, er ist Mitglied der Königlichen Akademie für Wirtschaft und Finanzwissenschaften in Spanien.
Die unverhohlene Feindschaft, mit der Merkel damals empfangen wurde, hat ihn schockiert, so Donges zur DW. Nicht nur, weil traditionell "das Verhältnis zwischen Spanien und Deutschland ja eigentlich sehr gut" ist, wie er sagt. Sondern vor allem, weil die Spanier die deutsche Kanzlerin seiner Meinung nach zu Unrecht beschuldigten.
"Diese Merkel- und Deutschland-Phobie war dem Umstand geschuldet, dass viele Spanier lernen mussten, sich anzupassen, nachdem sie sie 10 bis 15 Jahre über ihren Verhältnissen gelebt haben. Sie haben einen Schuldigen gesucht und ihn im Ausland gefunden."
Selbstbewußt oder selbstgefällig?
Seitdem ist viel passiert. Spaniens Regierung hat ihre Ausgaben gekürzt, viele Staatsbedienstete entlassen und gegen den Widerstand der Gewerkschaften den Arbeitsmarkt reformiert. Der Schrumpfkurs der Wirtschaft ist vorerst gestoppt, zwischen April und Juni wuchs das Bruttoinlandsprodukt in Spanien um 0,6 Prozent, während es in der Eurozone stagnierte und in Deutschland sogar zurückging.
Grund genug für Spaniens Regierung, die deutsche Kanzlerin diesmal selbstbewußt zu empfangen. Ökonom Donges, der zurzeit wieder in Madrid ist, stellt bereits eine "gewisse Selbstgefälligkeit" fest.
"Das kann man auch in den Medien sehen: Jetzt ist plötzlich Spanien die große Lokomotive der Eurozone und den anderen geht es schlecht. Es gibt auch eine gewisse Schadenfreude: Selbst die Deutschen haben jetzt ihre Probleme."
Die spanische Regierung versuche, vor den anstehenden Wahlen gute Stimmung zu verbreiten, so Donges. Allerdings gebe es keinen Grund, nun weniger hart zu sparen und zu reformieren.
Der Arbeitsmarkt müsse weiter liberalisiert werden und die Produktivität erhöht - sonst habe Spanien im internationalen Wettbewerb keine Chance. "Ich sage allen, mit denen ich zu tun habe: Bleibt auf Kurs, das ist ganz wichtig."
50 Jahre hohe Arbeitslosigkeit?
"Spanien ist das Land, das seine Löhne in den vergangenen Jahren am stärksten gekürzt hat", sagt dagegen Heiner Flassbeck. Auch er ist Volkswirtschaftler und war bis 2012 Chefvolkswirt der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD). "Inzwischen liegen die Löhne 15-20 Prozent niedriger als früher. Auf diesem Niveau gibt es natürlich keine vernünftige Binnennachfrage mehr."
Ohne Kaufkraft lasse sich die spanische Wirtschaft aber nicht beleben, so Flassbeck. Die jüngsten Erfolgsmeldungen zum spanischen Wirtschaftswachstum und zur leichten Verbesserung am Arbeitsmarkt hätten daher überhaupt keine Bedeutung. "Wenn man in dem Tempo weitermacht, wird es etwa 50 Jahre dauern, bis Spanien wieder eine normale Arbeitslosigkeit hat."
Auch die Empfehlung liberaler Ökonomen wie Donges, das Heil im Export zu suchen, findet Flassbeck nicht überzeugend. "Alle Länder dieser Welt wollen exportieren. Das ist ein Kampf um Marktanteile, bei dem die einen ihre Währung abwerten und die anderen ihre Löhne senken." Schon in den 1930er-Jahren habe sich gezeigt, dass diese Art des Wettlaufs nicht funktioniere, so Flassbeck.
Noch mehr Schulden machen?
"Die Eurozone hat den Fehler begangen, die Auswirkungen der Sparpolitik auf den Wirtschaftskreislauf zu unterschätzen", sagt die Ökonomin Sara Balina Vieites von der Wirtschaftsberatung Afi in Madrid. "Die Schwere der Krise in Spanien und anderen Volkswirtschaften zeigt das deutlich."
Linke Ökonomen wie Flassbeck oder der US-amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman empfehlen daher, die Nachfrageseite zu stärken, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen: durch höhere Löhne oder Investitionsprogramme der Regierung, notfalls finanziert über Schulden. Das sei immer noch besser, als eine schwache Wirtschaft bei hoher Arbeitslosigkeit vollends kaputtzusparen.
Allerdings belaufen sich Spaniens Schulden, die bis zur Finanzkrise immer niedrig waren, wegen der Bankenrettungen inzwischen auf fast 100 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung.
"Irgendwer muss Schulden machen. Es geht immer nur um die Frage, wer Schulden macht, nicht darum, ob Schulden gemacht werden", sagt Flassbeck. Schließlich stehe jedem Sparer auch ein Schuldner gegenüber.
Wenn Unternehmen keine Schulden aufnehmen, um zu investieren, und private Haushalte angesichts der Krise versuchen, ihr Geld zusammenzuhalten, müsse eben der Staat einspringen. "Deswegen kann man nicht einfach sagen: der Staat hat schon 100 Prozent Schulden, der darf jetzt keine mehr machen."
Demokratie in Gefahr?
Liberale Ökonomen wie Jürgen Donges halten den Ruf nach weiteren Schulden für absurd, weil es ihrer Meinung nach der Wettbewerbsfähigkeit schadet. Flassbeck sieht die größte Gefahr dagegen an anderer Stelle.
Wenn sich die Wirtschaftspolitik in Europa nicht ändere, sei die Demokratie gefährdet. "Demokratien sind nicht beliebig leidensfähig", sagt Flassbeck. "Wenn die Menschen verzweifelt sind, wählen sie irgendwann verrückte Parteien. Und dann bricht Europa auseinander."
Bei der Europawahl im Mai mussten die beiden großen spanischen Volksparteien herbe Verluste einstecken. Erstmals in der Geschichte erhielten sie zusammen weniger als die Hälfte der Stimmen.
Am 9. November steht eine andere, möglicherweise bedeutendere Wahl an. Dann will die Regierung von Katalonien, der wirtschaftlich stärksten Region Spaniens, ihre Bürger darüber abstimmen lassen, ob sich Katalonien von Spanien abspaltet und unabhängig wird.