Spanisches Dilemma
24. Oktober 2016Nach zehn Monaten des politischen Stillstandes in Spanien macht die sozialistische PSOE den Weg frei für eine zweite Amtszeit des amtierenden Ministerpräsidenten Mariano Rajoy: Die Partei erklärt sich bereit, eine konservative Minderheitsregierung zu dulden - ein bislang beispielloser Schritt in Spanien. Mit der Entscheidung will die Partei das Risiko einer möglichen dritten Parlamentswahl vermeiden. Denn bei einem dritten Urnengang drohen der PSOE herbe Verluste.
Erst vor drei Wochen war PSOE-Generalsekretär Pedro Sanchez in hitziger Atmosphäre abgelöst worden. Der Parteitag am Sonntag war kürzer und freundlicher. Doch die Abstimmung zeigte die tiefe Zerrissenheit der Sozialisten. Der Vorschlag aus dem baskischen Parteiflügel, Rajoys Wiederwahl zu verhindern, erhielt die Zustimmung von 40 Prozent der 235 Delegierten. Das Parlament wird nun vor Ablauf der Frist am 31. Oktober eine Abstimmung über die Regierungsbildung ansetzen. Dabei wollen sich die Sozialisten der Stimme enthalten.
Der lauteste Widerspruch kommt von der PSC. Die katalanische Partei ist zwar unabhängig, aber eng mit der PSOE verbündet. PSC-Chef Miquel Iceta teilte mit, man werde sich offen halten, ob man auf der offiziellen Linie der Partei bleiben werde. Einzelne PSOE-Abgeordnete haben bereits angekündigt, trotz des Parteibeschlusses gegen Rajoy zu stimmen.
Missliche Lage
Die PSOE sei in einer misslichen Lage, sagt der Journalist Antonio Maestre. Er geht davon aus, dass Rajoys Volkspartei (PP) die Drohung vorgezogener Neuwahlen als Druckmittel nutzen wird, um unpopuläre Reformen durchzudrücken.
Der Staatshaushalt, der ganz oben auf Rajoys Agenda steht, dürfte der erste derartige Beschluss sein, der die Zustimmung der PSOE benötigt. Beobachter gehen davon aus, dass das Gesetz Sozialausgaben streicht. Es wird ein Test für die Fähigkeit der Sozialisten sein, die Opposition anzuführen, aber gleichzeitig das Narrativ aufrechtzuerhalten, die politische Blockade überwinden zu können.
Antonio Barroso, stellvertretender Forschungsdirektor der Denkfabrik Teneo Intelligence, erwartet harte Auseinandersetzungen in der Haushaltsdebatte. Die PSOE könne Rajoy nicht zu weit entgegenkommen. "Die Sozialisten befinden sich mit Podemos im Wettbewerb, wer die wichtigste Partei der politischen Linken ist", sagt Barroso der DW. Er rechnet nicht damit, dass Rajoy bis zum Ende der Legislaturperiode im Amt bleibt: "Minderheitsregierungen schöpfen ihre Amtszeit in der Regel nicht aus."
Chance für Podemos
Die Anti-Austeritätspartei Podemos ist mit 71 Sitzen drittstärkste Kraft im Parlament. Die PSOE, seit 1978 unangefochtene Anführerin der spanischen Linken, muss um ihre Vorherrschaft bangen. Obwohl die Sozialisten zehn Sitze mehr als Podemos haben, könnte ihre Entscheidung, eine konservative Minderheitsregierung zu tolerieren, Podemos einen Schub geben.
Die Enthaltung der Sozialisten werde zu einer "schwachen und kurzlebigen Regierung" führen, twitterte Inigo Errejon, Parteisekretär für Politik und Strategie bei Podemos, und fügte hinzu, Podemos sei die "alternative" PSOE.
"Das ist eine gute Chance für Podemos", sagt Maestre. "Podemos kann die PSOE als Komplizin von Rajoy darstellen und so ihr Narrativ, dass beide Parteien zwei Seiten des Status Quo sind, unterstreichen."
Unsichere Zukunft
Der PSOE stehen also schwere Zeiten bevor. Dennoch bleibe die Partei mächtig, sagt Journalist Maestre. Ihr drohe nicht die Bedeutungslosigkeit, wie der sozialdemokratischen Pasok in Griechenland. In ländlichen Gebieten sei Podemos keine ernste Konkurrenz für die PSOE. Besonders in Gegenden mit geringer Bevölkerungsdichte, vor allem im Süden, hätten die Sozialisten weiterhin großen politischen Einfluss.
Doch Barroso und Maestre sind sich einig: Durch die Teilung ist die PSOE auf mittlere Sicht nicht in der Lage, die Regierung zu stellen.