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Spaßguerrilla mit spitzer Feder - Die Satire-Zeitschrift "pardon"

17. Juli 2009

Wiederaufbau, Wirtschaftswunder und die konservative Politik Adenauers prägen Deutschland Anfang der 60er Jahre. Für Satire ist da kein Platz. Oder doch? Die Zeitschrift pardon mischt Politik, Kultur und Medien auf.

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Herausgeber und Chefredakteur Hans A. Nikel liest in seiner Zeitschrift pardon.
Gegen die verkrusteten Verhältnisse: Chefredakteur Hans A. NikelBild: picture-alliance/ dpa

Ein Männchen reckt einen bunten Blumenstrauß wie eine Freiheitsfackel in die Höhe. Dazwischen ist eine Bombe mit brennender Lunte versteckt. Das Titelblatt der ersten Ausgabe der Satire-Zeitschrift "pardon", die am 27. August 1962 erscheint, ist ein Knaller. Gründungsväter sind die beiden Verleger Erich Bärmeier und Hans A. Nikel. "1962 gab es ja noch ganz verkrustete Verhältnisse", erinnert sich Nikel. Und da habe er sich gedacht: "Nein, so geht es nicht! Wozu haben wir einen neuen Staat? Jetzt muss eine Zeitschrift her, die dies aufs Tablett bringt!"

Der Hitler-Darsteller Billy Frick aus den USA wird am 11.10.1973 am Stand von Propyläen auf der Frankfurter Buchmesse von Mitgliedern der Pardon-Redaktion bejubelt. Das Satire-Magazin hatte den Auftritt als Protest gegen das große Angebot an Hitler-Literatur, wie hier im Hintergrund die Hitler-Biografie von Joachim C. Fest, organisiert.
Kein Pardon: Die Redaktion demonstriert auf ihre Weise gegen Hitler-LiteraturBild: picture-alliance/ dpa

Während Bärmeier zuständig für das Verlags- und Vertriebsgeschäft ist, kümmert sich Chefredakteur Nikel um Themen und Inhalte – mit Erfolg. In den besten Jahren erreicht pardon eine Auflage von 320.000 Exemplaren. Dafür sorgt auch der illustre Kreis an Autoren, darunter Journalisten und Schriftsteller wie Ephraim Kishon, Alice Schwarzer und Günter Wallraff.

Empörung erwünscht

Markenzeichen des auflagenstärksten europäischen Satireblattes ist das kleine Teufelchen, das hinterhältig seine schwarze Melone zum Gruße lupft. Das pardon-Logo kommt aus der Feder des damals noch unbekannten Karikaturisten Friedrich Karl Waechter: "Ich habe die Zeit bei pardon deshalb so genossen, weil ich davor in der Schule brav und angepasst war und nun plötzlich die Erfahrung machte, für das, wofür ich in der Schule noch Ohrfeigen bezog, jetzt bei pardon geliebt und getätschelt zu werden."

Der Satiriker Bernd Zeller Redakteur von "Pardon", mit seiner Satirezeitschrift in einer TV-Show in Leipzig im Jahr 2004.
Klappe, die Zweite: Satiriker Bernd Zeller lässt pardon wiederauferstehenBild: picture-alliance/ dpa

Die monatlich erscheinende Satireschrift schafft es immer wieder, die Republik zu empören und zum Lachen zu bringen. Legendär ist die pardon-Langspielplatte über die sprachlichen Entgleisungen des Bundespräsidenten Heinrich Lübke oder das illegale Aufstellen einer Büste des Schriftstellers Günter Grass in der Regensburger Walhalla. Hier, wo bedeutende deutsche Dichter und Denker von staatlicher Seite mit einer Marmorbüste geehrt werden, karikiert pardon die Selbst-Stilisierung des Autors zum Nationaldenkmal.

pardon wird zum Kultblatt der 68er-Bewegung und jüngeren Intelligenz. Absurd, anarchistisch und geistreich verbindet die Zeitschrift Politik mit Witz und Information mit Satire. Für die konservativen Jahre der Adenauer-Ära ist das etwas völlig Neues. Als eine der ersten Zeitschriften löst sie eine Diskussion über die Atomenergie aus, zu Zeiten, als die Partei "Die Grünen" noch gar nicht existierten. Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung konstatiert: "pardon hat unter Nikels Leitung mit dessen literarisch-satirischem Spürsinn Einfluss auf den Zeitgeist der Republik genommen – eine markante Phase der Nachkriegsgeschichte."

Geistreiche Haarspalterei

Der Verleger der Satire-Zeitschrift Pardon, Hans A. Nikel (r), steht am Rednerpult, am 04.01.1969 vor dem Eingang zum ehemaligen Konzentrationslager Dachau.
Provokation pur: Hans A. Nikel demonstriert vor den Toren des KZ Dachau gegen VorbeugehaftBild: picture-alliance/ dpa

Juristische Auseinandersetzungen gibt es viele, vor allem mit dem Bundesminister und CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß. 18 Mal muss Chefredakteur Nikel vor Gericht und jedes Mal gewinnt er den Prozess. "Das Interessante war", so Nikel im Rückblick, "dass wir für die Zeitschrift ganz exakt recherchiert haben." Auch in der Redaktion hätten viele gemeint, Satire dürfe alles. Aber "Witz allein ist keine Rechtfertigung, unsolide und unseriös zu sein."

Ende der siebziger Jahre beginnt es innerhalb der Redaktion zu brodeln. Erich Bärmeier scheidet aus, Hans A. Nikel führt pardon alleine weiter, aber mit der Auflage geht es bergab. 1980 verkauft Nikel das Blatt. "Ich war 18 Jahre beglückt Herausgeber dieser schönen, frechen, verrückten Zeitschrift pardon." Chef mit neuer Redaktion in Hamburg wird der Rundfunkjournalist und Kabarettist Henning Venske. Doch dessen Hoffnung, die Zeitschrift mehr links im bunten Blättersatirewald etablieren zu können, geht nicht auf. 1984 wird pardon eingestellt. Der Satiriker Bernd Zeller versucht 20 Jahre später die Zeitschrift wiederzubeleben - ohne Erfolg. Im Jahr 2007 fällt für pardon zum zweiten Mal der letzte Vorhang.

Autor: Michael Marek

Redaktion: Ramon Garcia-Ziemsen