SPD in BND-Affäre auf Distanz zum Kanzleramt
27. April 2015Vize-Kanzler und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat umfassende Aufklärung in der Affäre um Spähaktionen des US-Geheimdienstes NSA und seine Unterstützung durch den Bundesnachrichtendienst (BND) verlangt. Wenn sich der BND von den USA unter anderem auch für Wirtschaftsspionage habe einspannen lassen, "dann wäre das eine völlig neue Qualität", erklärte der SPD-Politiker im deutschen Fernsehen. Es sei "offensichtlich", dass der BND ein Eigenleben führe. Dies sei "skandalös" und müsse beendet werden, forderte der Minister. Aufklärung müsse es nicht nur im Untersuchungsausschuss des Bundestages zur NSA-Affäre, sondern auch in der Öffentlichkeit geben.
Merkels Glaubwürdigkeit in Frage gestellt
SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi sprach gegenüber "Spiegel Online" von einer ganz neuen Dimension des Skandals. Die jüngsten Enthüllungen legten nahe, dass das Kanzleramt bei der Aufsicht des BND "kläglich versagt" habe. Fahimi riet zu prüfen, ob nicht der Auftrag des NSA-Untersuchungsausschusses ausgedehnt werden müsse.
Fahimi sieht auch die Glaubwürdigkeit von Kanzlerin Angela Merkel in Frage gestellt. "Es passt schlicht nicht zusammen, sich einerseits seitens des Kanzleramts bitterlich darüber zu beschweren, dass die NSA deutsche Politiker abhört und ausforscht. Und andererseits im Auftrag der NSA europäische Top-Manager, EU-Politiker und Journalisten auszuspähen", sagte die SPD-Politikerin.
Personelle Konsequenzen?
Die Bundesregierung sieht in der Spionageaffäre um den BND trotz entsprechender Forderungen derzeit keinen Anlass für personelle Konsequenzen. Diese Frage stelle sich momentan nicht, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Wirtz in Berlin. Zunächst stehe die Aufklärung des Sachverhalts im Vordergrund. Neben Linken und Grünen hatte auch SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi personelle Konsequenzen nicht ausgeschlossen. Kanzlerin Angela Merkel wollte sich bei einem Besuch in Polen nicht zu den Vorwürfen gegen den BND und ihre Regierungszentrale äußern. Sie verwies auf die Erklärung der Bundesregierung vom Donnerstag, in der von technischen und organisatorischen Defiziten beim BND die Rede war.
Das Kanzleramt hat am Sonntag eingeräumt, seit 2008 gewusst zu haben, dass der US-Geheimdienst europäische Rüstungskonzerne ausspähen wollte. Entsprechende Unterlagen seien im vergangenen Jahr dem Bundestag-Untersuchungsausschuss zur Verfügung gestellt worden. Offen ließ Regierungssprecher Steffen Seibert, ob und wie lange der BND mit der NSA bei der Abschöpfung der Firmenkommunikation kooperierte.
EADS und Eurocopter im Visier der NSA
Nach einem Bericht der "Bild"-Zeitung wusste das Bundeskanzleramt spätestens seit 2008, dass die NSA den Rüstungskonzern EADS und die Tochterfirma Eurocopter überwachen wollte. Unterlagen, die dem NSA-Untersuchungsausschuss vorlägen, belegten eindeutig, dass das Kanzleramt informiert worden sei und die Spionage-Aktivitäten des US-Geheimdienstes geduldet habe. "Man hat damals gesagt, 'Wir brauchen die Informationen der Amerikaner, so läuft es nun mal, wir wollen die Zusammenarbeit nicht gefährden'", zitiert das Blatt einen Beteiligten. Es sei unwahrscheinlich und "höchst unüblich, wenn der Chef des Kanzleramts über so einen Vorgang nicht informiert worden wäre", erklärte ein Untersuchungsausschuss-Insider der "Bild"-Zeitung.
"Es wird gelogen"...
Der Linke-Politiker André Hahn stellte den Vorwurf der Lüge in den Raum. Wenn es schon 2008 einen oder gar mehrere Berichte des BND über versuchte oder erfolgte Wirtschaftsspionage seitens der NSA an die Dienst- und Fachaufsichtsbehörde gegeben habe, "dann hätte das Bundeskanzleramt das Parlamentarische Kontrollgremium erneut belogen", resümierte Hahn, der Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums ist.
Die Grünen äußerten zudem den Verdacht, Merkel und ihren jeweilen Kanzleramtsministern sei die Kontrolle über den BND entglitten. "Schlimmer noch. Sie haben es ganz bewusst ignoriert oder sogar verschleiert", sagte Fraktionschef Anton Hofreiter. Die Kanzlerin müsse sich "an ihrer Aussage messen lassen, dass Ausspähen unter Freunden gar nicht geht." Er forderte, der damals zuständige Kanzleramtsminister und heutige Bundesinnenminister Thomas de Maizière, Ronald Pofalla als dessen Nachfolger sowie der amtierende Kanzleramtsminister Peter Altmaier (alle CDU) sollten vor dem NSA-Untersuchungsausschuss ins Kreuzverhör genommen werden.
Beunruhigt reagierte auch die Wirtschaft. "Die deutsche Industrie muss sich darauf verlassen können, dass mit sensiblen Unternehmensdaten vertrauensvoll umgegangen wird", betonte ein Sprecher des Bundesverbandes der deutschen Industrie. Sollten sich diese Vorwürfe bewahrheiten, wäre das ein schwerer Vertrauensbruch.
se/sti (afp, rtr, dpa)