1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

SPD: Revolution oder lieber nicht?

30. November 2019

Die Sozialdemokraten stehen vor einer Richtungsentscheidung. In einer Stichwahl konnten die Mitglieder ihre künftigen Chefs bestimmen. Es ist auch eine Entscheidung für oder gegen die große Koalition mit Merkels CDU.

https://p.dw.com/p/3TjtJ
Deutschland 2016 | SPD Rheinland-Pfalz
Bild: picture-alliance/dpa/F.v. Erichsen

Fast ein halbes Jahr ist inzwischen vergangen, seit die frühere SPD-Vorsitzende Andrea Nahles nach desaströsen Wahlniederlagen ihrer Partei bei Landtagswahlen und der Europawahl das Handtuch warf. In bundesweiten Umfragen lag die SPD bei nur noch zwölf bis 14 Prozent. Nahles war die dritte Vorsitzende in zwei Jahren. So konnte es nicht weitergehen, das war die einhellige Meinung in der Partei.

Bestürzung und Ratlosigkeit waren so groß, dass sich die eilends eingesetzte kommissarische Parteiführung für einen ungewöhnlichen Schritt entschied: Die 425.000 SPD-Mitglieder sollen basisdemokratisch darüber entscheiden, wer die Partei in Zukunft anführen soll. Einzige Vorgabe: Es sollte ein Team aus einer Frau und einem Mann sein. Jedes Parteimitglied konnte sich bewerben.

Infografik SPD-Vorsitzende DE

Entscheidung fällt in einer Stichwahl

In einer ersten Runde bewarben sich acht Teams. Die meisten Stimmen bekam mit knapp 23 Prozent das Duo aus Bundesfinanzminister Olaf Scholz und der brandenburgischen Landespolitikerin Klara Geywitz. Dicht gefolgt vom früheren nordrhein-westfälischen Finanzminister Norbert Walter-Borjans, der zusammen mit der Bundestagsabgeordneten Saskia Esken auf etwas mehr als 21 Prozent der Stimmen kam.

Da kein Team auf Anhieb die absolute Mehrheit erhielt, läuft nun eine Stichwahl. Die dürfte am Ende auch über den künftigen politischen Kurs der SPD entscheiden. Denn die beiden Teams haben ganz unterschiedliche Vorstellungen davon, wie die älteste deutsche Partei aus ihrem Tief herauskommen könnte.

Kurswechsel nach links?

"In den letzten 20 Jahren haben wir erlebt, dass diese Partei von runden 40 auf runde 14 Prozent gesunken ist und das kommt daher, dass sie sich viel zu lange Rezepten hingegeben hat, die man wirklich neoliberal nennen muss", kritisiert Walter-Borjans. Zum dritten Mal seit 2005 regieren die Sozialdemokraten derzeit zusammen mit CDU und CSU unter Bundeskanzlerin Angela Merkel. In dieser Zeit der politischen Kompromisse habe die SPD ihr linkes politisches Profil immer weiter verloren, so Walter-Borjans.

Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans über die SPD

Er möchte das zusammen mit Saskia Esken ändern. Die beiden gehören dem linken SPD-Flügel an. Die Partei müsse wieder für die da sein, die in der Gesellschaft keine Fürsprecher hätten. Reiche müssten deutlicher zur Kasse gebeten werden. Konkret fordern Esken und Walter-Borjans unter anderem die Abschaffung aller Sanktionen gegen Arbeitslose, eine deutliche Erhöhung des Mindestlohns und die Einführung einer Vermögenssteuer.

Koalitionsvertrag neu verhandeln?

Das würde Konsequenzen für die Koalition mit der Union haben. "Ich glaube, dass eine links von der Mitte stehende SPD sich dann von einer möglicherweise sogar auch ein Stück nach rechts tendierenden CDU deutlicher unterscheidet und man muss sich fragen, ob das wirklich ein Zukunfts-Bündnis ist", sagt der 67-jährige Walter-Borjans. "Ich glaube, dass es dann schwierig wird, auf Dauer eine große Koalition zu führen und dass man die Mehrheiten dann diesseits der CDU, CSU und FDP finden muss."

Die 58-jährige Saskia Esken hat im Wahlkampf um den Parteivorsitz nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie die Regierungs-Koalition sogar lieber heute als morgen verlassen würde. Nur so sei die SPD zu retten. "Es gibt sozialdemokratische Parteien in Europa, die sind am Abgrund, die sind am Ende, und da möchte ich nicht zuschauen, wie die alte Tante SPD in dieselbe Lage gerät." Sollten CDU und CSU nicht bereit sein, den Koalitionsvertrag inhaltlich neu zu verhandeln und mehr sozialdemokratische Forderungen aufzunehmen, dann müsse man raus aus der Regierung.

SPD-Spitzenpolitiker möchten weiter regieren

Die Koalition aufkündigen? Das wollen Olaf Scholz und Klara Geywitz unbedingt verhindern. Und mit ihnen eigentlich alle SPD-Politiker, die in führenden politischen Positionen sind, allen voran die Bundesminister. Sie wollen in ihren Ämtern bleiben und so hat praktisch die gesamte SPD-Politprominenz eine Wahlempfehlung für Scholz und Geywitz abgegeben.

Ihm würden sich "die Nackenhaare sträuben", sagt der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil zu den politischen Forderungen von Saskia Esken. "Plumpe Schwarz-Weiß-Betrachtungen hielte ich nicht für förderlich an der SPD-Spitze." Ob die Parteimitglieder dem folgen werden, ist nicht abzusehen. Gemessen an der Nervosität der Parteiprominenz könnte die Stichwahl eng werden.

Olaf Scholz zieht alle Register

Das weiß auch der Politprofi Scholz nur zu genau. Er ist seit mehr als 20 Jahren in führenden Positionen, war schon Bundesarbeitsminister, SPD-Generalsekretär und regierender Bürgermeister von Hamburg, bevor der Bundesfinanzminister und Vizekanzler wurde. Das Herz der SPD flog ihm allerdings nie zu. Das liegt an seiner spröden, beinahe emotionslosen Art. Scholz ist ein nüchterner Pragmatiker, wirkt oft unterkühlt. Nicht ohne Grund trägt er den Spitznamen "Scholzomat", ein Wortspiel aus Scholz und Automat.

In seinen letzten Auftritten war der 61-jährige in dieser Beziehung allerdings kaum wiederzuerkennen. Scholz wirkte bei Auftritten in TV-Talkrunden enthusiastisch, war streit- und angriffslustig und beschwor die SPD, mit Zuversicht in die Zukunft zu sehen. Die Partei habe in der Koalition schon viel erreicht, habe mit der Durchsetzung der Grundrente sogar einen "riesig großen Sieg" errungen. "Wir haben etwas vorzuweisen und wir sollten uns nicht selber schlecht reden."

Berlin Kabinettausschuss Klimaschutz im Bundeskanzleramt
Olaf Scholz würde gerne weiter mit der Kanzlerin am Kabinettstisch sitzenBild: Getty Images/AFP/A. Schmidt

Die Frau an seiner Seite

So argumentiert auch Geywitz, die anfangs noch meinte, sie müsse daran arbeiten, mehr zu sein, als nur das "dekorative Salatblatt" an Scholz Seite. Inzwischen kann sie, wie sie sagt, aber damit leben, dass die politischen Gewichte in ihrem Team sehr unterschiedlich verteilt sind. "Wenn ich Vizekanzlerin wäre und er wäre ein ehemaliger Landtagsabgeordneter aus Brandenburg, dann wäre das Verhältnis umgekehrt."

Im Gegensatz zu Scholz übt die die 43-jährige Politologin auch Kritik an der Koalition mit der Union. "Wir wollen raus aus dieser großen Koalition, weil sie ein ganz langsamer Tanker ist und für die Modernisierung dieses Landes brauchen wir andere progressive Mehrheiten." Doch die müsse man erst wieder bekommen und solange will Geywitz in der GroKo bleiben.

Scholz will und soll Kanzlerkandidat werden

Klara Geywitz und Olaf Scholz über die SPD und ihre Kandidatur

Wer die SPD in die Bundestagswahl 2021 führen soll, darüber ist sich das Team bereits einig. "Unser Ziel ist es, dass die SPD wieder den Kanzler stellt", sagt Geywitz. Da stehe es doch außer Frage, mit einem Kanzlerkandidaten ins Rennen zu gehen, "den die allermeisten Deutschen kennen, der unglaublich viel Regierungserfahrung hat und der auch noch zufälligerweise der beliebteste Sozialdemokrat in Deutschland ist. Ich finde das eigentlich ziemlich logisch."

Sollten Scholz und Geywitz gewinnen, heißt das aber nicht automatisch, dass die große Koalition Bestand haben wird. Die Entscheidung für oder gegen die GroKo fällt auf dem Bundesparteitag der SPD am 6. und 7. Dezember. Die neuen Vorsitzenden geben lediglich eine Empfehlung ab. Würden sich die Delegierten am Ende für einen Ausstieg entscheiden, würde es wohl auf Neuwahlen im kommenden Jahr hinauslaufen.