Rammstein-Tournee beendet
12. August 2013Pinochet hatte in Chile geputscht. Mit seinen Eltern fand der kleine Paulo San Martin Asyl in der DDR. In Berlin setzte man den Sechsjährigen in der Schule neben Christian Lorenz, ein pfiffiger Kerl und talentiert am Klavier. Er sollte Paulo ein wenig unter die Arme greifen. Daraus wurde eine Freundschaft.
Seit zehn Jahren sind Christian 'Flake' Lorenz und Paulo San Martin fast ununterbrochen gemeinsam auf Tournee. 'Flake' ist Keyboarder bei Rammstein - sechs Musiker aus der DDR, die nach dem Fall der Mauer am Prenzlauer Berg in Berlin etwas Neues, Eigenes, Einzigartiges schaffen: Musik so originell wie provokant und vor allem wütend.
"Die wollen das!"
Paulo San Martin ist persönlicher Tournee- und Produktionsassistent. Und das heißt: Am Morgen das Containerdorf der Künstler bei einem Open Air-Festival oder die neue Halle backstage ausschildern, die Kostüme in Schuss halten, Wünsche erfüllen. Nichts darf am Abend schiefgehen.
"Für mich sind das Freunde!", sagt Paulo San Martin in einer kurzen Tournee-Pause. "Und sie sind sehr ehrgeizige Künstler… Was heißt Künstler? Musiker. Rocker! Die sind sehr konsequent." Und das sei auch schon so gewesen, als sie alle noch keinen Pfennig in der Tasche hatten, verbissen probten und am Wochenende umsonst auftraten, erzählt er weiter. "Du hast gemerkt: Die wollen das!"
Autobiografisches mit 380.000 Watt
Wie ein Zirkus zieht die Band mit über 60 Technikern um die Welt. Vor Ort werden über 100 weitere Helfer dazu gemietet. Jeder weiß genau was mit der gigantischen Stahlbühne, 50 Tonnen Equipment und einer 380.000 Watt-Anlage passieren muss, mit Licht, Feuer, Kostümen und aufwendigen Requisiten.
Paulo San Martin: "Rammstein arbeitet mit theatralischen Mitteln. Sechs starke Persönlichkeiten bringen sich da konsequent ein. Nicht nur mit Effekten und dem Licht, was sie hervorragend machen. Auch mit den Texten: Manches haben sie selber erlebt. Teils sind es auch Ansichten, die sie selber haben. Und teilweise sind es auch Provokationen, die sie machen wollen." Paulo ist überzeugt, dass die Band nicht irgendeine Rolle spielt: "Es ist kein Sommertheater, kein Shakespeare auf der Sommerwiese."
Da brennt die Luft
Die Texte sind voller Zündstoff: Muttermord, Inzest, Sado-Maso-Fantasien, Leben und Tod, Blut und Verwesung - Rammsteins Geschichten werden über Extreme hinaus getrieben - doppeldeutig wäre zu wenig. Rammstein weiß, wann die Luft brennen muss oder sie leise Texte mit makabrer Romantik vereinen.
Paulo San Martin liebt die künstlerische Überspitzung bei Rammstein: "Mich fasziniert, wie sie das Publikum erreichen. Und zwar mit ihrer gesamten Show weltweit!" Und wo auf der Welt man die Texte nicht versteht, da besorgen sich die Fans die Übersetzungen. "Die Leute wissen, worum es geht", sagt Paulo.
Rammstein ganz oben
Bis zum Horizont warten die Fans stundenlang unter sengender Sonne auf die überwältigende Dramaturgie der Rammstein-Schau. Und das wollen sie sehen: Brachiale Rockmusik, beängstigende Stille, Provokation und sprühende Feuerfontänen.
Paulo San Martin: "Man muss ja als Künstler gar nicht so viel erklären." Und die Interpretationsfähigkeit Rammsteinscher Lyrik macht einen Teil des Erfolges aus. "Zehntausende im Madison Square Garden, New York City! Dann denkst du, du bist 'on top'", schwärmt Paulo. "Welche deutsche Band schafft es noch? Kraftwerk. Ganz früher die Scorpions. Aber sonst weiß ich nicht… Auf dem Level? Weltweit gibt's nur Rammstein!"
Das Spiel mit dem Feuer
Die Rammstein-Show laufe wie geschmiert und werde doch nie langweilig, sagt Paulo San Martin: "Das ist die Energie, wie diese sechs Typen sich zusammenraufen. Es ist immer wieder eine Herausforderung mit denen zu arbeiten, weil die sich ja nie zufrieden geben. Die verbessern ja ihre Shows während einer laufenden Tour – von einer kleinen Glühlampe bis zum Lied oder sie schmeißen die ganze Set-Liste um." Das sei natürlich zum Haare raufen für die Crew, erzählt er weiter, aber das mache eben auch die Faszination und Glaubwürdigkeit Rammsteins für die Fans aus: "Die kaufen denen das ab: Das ist ein echtes Spiel mit dem Feuer! Und man kann sich dabei auch verbrennen!"
Jetzt ist die Mammut-Tour vorbei: "Viele, viele Stunden mit nachdenklichen, musikalischen und im Kern total aufsässigen Anarchisten", zitiert Paulo den Journalisten der Süddeutschen Zeitung, der in Amerika ganz nah dabei war. Jetzt kommt die wohlverdiente Pause. Zu Hause.