Spiel, Satz und Sieg
6. Juli 2015Unzählige kleine Trippelschritte, beide Arme in den Himmel gestreckt, den Mund weit aufgerissen und ein ungläubiger Blick in die Menschenmassen auf dem Center Court in Wimbledon: den Jubel des damals 17 Jahre alten Tennis-Neulings Boris Becker kennt jedes Kind. "Es ist ein unglaubliches Erlebnis gewesen, ein sehr einschneidendes", berichtet Becker in der SWR-Dokumentation "Boris Becker und das Wunder von Wimbledon". Ein Wunder, welches am 7. Juli 1985 und 17:26 Uhr Ortszeit Wirklichkeit wurde und die Sportwelt verändern sollte. Becker stellte mit seinem Erfolg gleich mehrere Rekorde auf. Er war und ist bis heute der jüngste Wimbledon-Sieger, er war der erste ungesetzte Spieler und der erste Deutsche, der das prestigeträchtige Turnier gewinnen konnte. "Mir war nicht wirklich bewusst, welchen Rekord ich gerade gebrochen habe. Das war auch besser so. Ich war 17 Jahre, ich war ein junger Kerl", erinnert sich Becker heute.
Becker gewinnt Herzen der Fans
Während dieser zwei Turnierwochen spielte sich der junge Kerl mit den rotblonden Haaren mit seiner spektakulären Spielweise, seinen Hechtsprüngen, seiner berühmt gewordenen Becker-Faust und seinen emotionalen Ausbrüchen auf dem Rasen in die Herzen der Fans. Die ersten beiden Runden überstand der Neuling souverän, er schlug zunächst die US-Amerikaner Hank Pfister und Matt Anger, ehe Becker in der dritten Runde gegen den Schweden Joakim Nyström beinahe ausgeschieden wäre. Einen 5:6-Rückstand drehte er in einen 3:6, 7:6, 6:1, 4:6 und 9:7-Erfolg. An ein Ausscheiden, habe er nie gedacht, gab Becker auf der anschließenden Pressekonferenz zu Protokoll. "Wenn ich es gedacht hätte, hätte ich verloren."
Auch im Achtelfinale gegen Tim Mayotte aus den USA quälte er sich über fünf Sätze. "Boris war mit dem Fuß umgeknickt. Er wollte schon aufgeben", erinnert sich sein damaliger Trainer Günther Bosch: "Auch im Halbfinale gegen Järryd war er schon auf der Verliererstraße." Doch Becker drehte erneut eine fast verloren geglaubte Partie zu seinen Gunsten. Was dann im Endspiel gegen Kevin Curren aus Südafrika geschah, zählt bis heute zu den größten Erfolgen in der Sportwelt. Curren hatte auf dem Weg ins Endspiel die Tennisgrößen Stefan Edberg, Jimmy Connors und John McEnroe geschlagen. Gegen den erst 17 Jahre alten Becker aus der Kleinstadt Leimen dagegen verlor er 3:6, 7:6, 6:7 und 4:6.
"Ein Wunder aus einer andere Welt"
"Man spürt, dass man etwas geschafft hat, was nicht normal ist", sagt Becker heute. "Ich bin vom Center Court gekommen und Menschen, die mich dreieinhalb Stunden vorher noch relativ normal angeschaut haben, starren mich plötzlich an wie so ein Wunder aus einer anderen Welt." Dieser Erfolg veränderte Beckers Leben komplett und ebnete ihm den Weg in die Glamourwelt des Sports. Millionenschwere Werbeverträge, TV-Auftritte - plötzlich war Becker ein Mann des öffentlichen Lebens. "Ich bin öffentlich groß geworden, mit Stärken und Schwächen, mit Fehlern", sagt Becker: "Ich habe mich sportlich weiterentwickelt, das war mir das Wichtigste. Aber es war ein anstrengender Weg."
Seit einigen Jahren lebt er in Wimbledon, dem noblen Stadtteil von London. Dies veranlasste die "Süddeutsche Zeitung" zu dem wunderbaren Vergleich: "Als wäre Helmut Rahn nach Bern gezogen. Oder Ali nach Kinshasa." In England, wiederholt Becker wieder und wieder, begegnen ihm die Menschen mit großem Respekt. Auch am 7. Juli wird er wieder in Wimbledon sein. In seinem "Wohnzimmer" betreut und trainiert er den Serben Novak Djokovic. Ob er wenigstens ein Gläschen Sekt am 7. Juli trinken werde, wurde Becker gefragt. Der dreimalige Wimbledonsieger antwortete: "Nein, ich lebe im Hier und Jetzt und denke an die Zukunft und bin keiner, der zu viel in der Vergangenheit rumwühlt."