"Neustart bereitet mir Bauchschmerzen"
12. Mai 2020Vor der geplanten Wiederaufnahme des Bundesliga-Spielbetriebs an diesem Samstag ist eine Diskussion darüber entbrannt, ob der "Kaltstart" auf Kosten der Gesundheit der Spieler geht. Wir haben bei Professor Wilhelm Bloch, Sportmediziner an der Deutschen Sporthochschule Köln, nachgefragt.
DW: Zweitligaprofi Marc Lorenz vom Karlsruher SC meinte in einem Zeitungsinterview, spätestens nach 60 Minuten werde bei den Spielern der Akku leer sein. Dann setze die Übermüdung ein. Teilen Sie seine Einschätzung?
Professor Wilhelm Bloch: Ich glaube, die Spieler sind nicht optimal vorbereitet. Wir müssen davon ausgehen, dass nicht alle in den Kleingruppen und im Home-Training maximal gut gearbeitet haben. Die Akkus werden also wahrscheinlich nicht ganz voll sein, sodass bei hohen Belastungen, wie sie im Spiel auftreten, Probleme entstehen können. Ob es jetzt wirklich die 60. Minute sein wird, sei dahingestellt. Aber eine nicht optimale konditionelle Vorbereitung birgt halt schon höhere Risiken.
Der KSC-Profi Lorenz fürchtet, dass im Falle der Übermüdung auch die Gefahr schwerer Verletzungen steige. Stimmt das?
Wenn ich in eine Ermüdungsphase komme, ist die muskuläre Koordination nicht mehr optimal. Dann kommt es zu hohen Belastungen der Muskeln und anderer Gewebe. Das kann auch dazu führen, dass Sie einen anderen Bewegungsablauf haben. Kreuzbandverletzungen z.B. sind abhängig vom Bewegungsablauf. Ein ermüdeter Sportler in einer ungünstigen Situation, im Zweikampf, ist dann einfach gefährdeter. Deshalb würde ich Lorenz' Einschätzung unterschreiben.
Was ist mit Profis wie jenen von Dynamo Dresden, die nach zwei Wochen Quarantäne quasi aus dem Stand auflaufen sollen? Ist das aus sportmedizinischer Sicht verantwortbar?
Ich gehe davon aus, dass die Spieler in der Quarantäne nicht den optimalen Trainingsumfang haben. Das ist auf jeden Fall eine Verzerrung, was die Leistungsstände anbetrifft. Unverantwortlich ist ein starker Begriff. Aber ich halte es auf jeden Fall für kritisch. Man gefährdet die Spieler durchaus mehr als man es normalerweise macht.
Unter den Spielern haben einige bereits eine Infektion mit dem Coronavirus hinter sich. Können die nun ganz unbeschwert aufspielen?
Wir wissen ja gar nicht, für welche bleibenden Schäden die Infektion sorgt, selbst wenn sie moderat verläuft. Ich erinnere an die kürzliche Mitteilung eines Tauchmediziners aus Innsbruck [Dr. Frank Hartig - Anm. d. Red], der sechs infizierte Taucher nach moderaten Infektionsverläufen untersucht hat. Von denen war anschließend kein einziger tauchtauglich. Die Gefahr ist nicht zu vernachlässigen. Nach überstandener Infektion sollte meiner Ansicht nach für vier Wochen das Training stark reduziert oder ganz eingestellt bleiben, je nach Verlauf der Infektion sogar noch deutlich länger.
Wie könnten denn die langfristigen Folgen einer Infektion bei Fußballern aussehen?
Die Infektion ist extrem tückisch, weil sie sowohl das Immunsystem angreift als auch die Gefäße des Herzkreislauf-Systems und anderer Organe. Das Virus ist alles andere als harmlos, und das nicht nur für Risikogruppen. Die Lunge kann beeinträchtigt werden, ohne dass der Fußballer es großartig bemerkt. Es kann zu kleinen Vernarbungen in der Lunge kommen. Die heilen nicht einfach kurzfristig aus. Eine Narbe ist eben eine Narbe.
Man kann nicht ausschließen, dass nach Infektionen ein paar Prozentpunkte des Gewebes weg sind. Im Alltag mag sich das nicht auswirken, aber im Hochleistungssport verlieren sie ein paar Körner. Bei einem Spitzensportler kann das zu einem Karriereknick führen. Darüber hinaus kann auch das Herz geschädigt werden. Bei schweren Verläufen ist in 30 Prozent der Fälle auch das Herz betroffen. Andere Organe wie die Niere oder die Leber können mit geschädigt werden.
Das klingt, als hätten Sie extreme Bauchschmerzen damit, dass die Bundesliga wieder spielt.
Ja, ich habe dabei Bauchschmerzen. Im Augenblick lernen wir, dass das Virus auch chronische Schäden hervorrufen kann. Bei schweren Verläufen sowieso, da werden sich viele Patienten nicht 100-prozentig erholen. Wir werden bald sicher auch Kandidaten für Lungentransplantationen haben. Aber auch bei den milderen und moderaten Verläufen kann es die eben beschriebenen Folgeschäden geben. Jeder Sportler, der infiziert war, muss meiner Meinung nach einem intensiven sportmedizinischen Check durchlaufen, bevor er wieder aktiv einsteigen kann.
Ehrlich gesagt, ich muss nicht die Fußball-Bundesliga oder andere Topsportler als Experimentierfeld haben. Stellen wir uns folgendes rein hypothetisches Szenario vor: Ein Spieler von Mainz 05 hat unwissentlich eine Infektion, und der Test schlägt nicht an, was durchaus vorkommt. Der Klub spielt gegen den FC Bayern, und der Mainzer Spieler steckt Robert Lewandowski an. Bei Lewandowski verläuft die Krankheit schwer, seine Lunge wird schwer geschädigt. Daraufhin sinkt sein Marktwert ins Unterirdische. Und was machen wir dann? Die Verantwortlichen in der Bundesliga sollten sich die Frage stellen, ob sie ein solches Risiko eingehen wollen oder nicht.
Professor Wilhelm Bloch hat Medizin, Philosophie und Physik studiert. Seit 2004 arbeitet und forscht der Sportmediziner an der Deutschen Sporthochschule Köln. Der 60-Jährige ist dort einer der beiden Leiter des Instituts für Kreislaufforschung und Sportmedizin.
Das Interview führte Stefan Nestler.