1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die streiten, die Belgier

Anke Hagedorn4. August 2008

Die niederländischen und französischen Sprachgemeinschaften Belgiens liefern sich erbitterte Auseinandersetzungen, etliche notwendige Reformen werden dadurch blockiert. Viele belgische Bürger haben genug von dem Streit.

https://p.dw.com/p/EnxQ
Landkarte von Belgien, in der Flandern und Wallonien eingezeichnet sind
Die Flamen im Norden machen mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung aus, die Wallonen im Süden stellen knapp ein DrittelBild: AP

Bruxelles Plage - der Brüsseler Strand ist ein künstlich aufgeschütteter Sandstreifen am Rand des Kanals im Nordwesten der Altstadt und ein beliebter Treffpunkt. Zwischen Palmen und Strandliegen lassen die Brüsseler an lauen Sommerabenden gerne den Tag ausklingen. So auch Lore und ihre Freundinnen, alles Fläminnen, die sich mit zwei Wallonen und einem Franzosen einen Tisch teilen. Bei dieser Zusammenstellung verwundert es nicht, dass sich die Gespräche immer wieder auf die politischen Zustände im Land konzentrieren.

Kein Gemeinschaftsgefühl

Leterme legt bei König Albert II. den Amtseid ab (dpa/20.3.2008)
Leterme legt bei König Albert II. den Eid als Premierminister ab - sein späteres Rücktrittsgesuch lehnt der König abBild: picture-alliance/ dpa

Gerade ist eine erneute Regierungskrise knapp verhindert worden, der belgische König Albert II lehnte das Rücktrittsgesuch vom Premierminister Yves Leterme ab. Dieser hatte eine Verfassungsreform verabschieden lassen wollen - doch wie so viele Projekte ist auch dieses am Dauerstreit zwischen den niederländischsprachigen Flamen und den frankophonen Wallonen gescheitert.

Seit 1994 ist Belgien ein in drei Regionen unterteilter Bundesstaat: In Flandern wird Niederländisch gesprochen, in Wallonien Französisch und in der Hauptstadtregion Brüssel überschneiden sich die Sprachgebiete. Die Flamen machen mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung aus, die Wallonen stellen knapp ein Drittel. Nur rund zehn Prozent der Belgier gelten als zweisprachig. Ein richtiges Gemeinschaftsgefühl als belgische Nation kommt da nicht auf. Im Gegenteil.

Wallonien soll zu Frankreich gehören

Die Flamen streben mehr Autonomie für ihre Region, das wirtschaftlich prosperierende Flandern, an. Und auch die Wallonen scheinen sich nach Alternativen zur bisherigen Staatsform umzusehen. Laut einer vor ein paar Tagen in der belgischen Tageszeitung Le Soir erschienenen Umfrage sind mittlerweile 49% der Wallonen für die Eingliederung des französischsprachigen belgischen Südens nach Frankreich.

Das sei völliger Blödsinn, findet Lore. Sie meint, die Wallonen würden sich mit solchen Vorstellungen lächerlich machen. Schließlich habe Flandern in den letzten 50 Jahren Wallonien finanziell unterstützt und die dortige Wirtschaft voran gebracht. "Ich finde diese Umfrageergebnisse ziemlich lächerlich, aber es ist ja auch fraglich, ob man denen wirklich Glauben schenken kann."

Belgisches Prinzenpaar bei der Hochzeit (AP/12.4.2002)
Nur die Monarchie verbindet die Belgier noch - hier die Hochzeit von Claire Coombs und Prinz Laurent 2002Bild: AP

Nur die Monarchie verbindet noch

Ihre Nachbarin Carole ärgert sich über die gesamte Diskussion. "Ich fühle mich als Geisel dieser politischen Debatte." Anstatt sich über die wirklichen Probleme Gedanken zu machen, werde alles durch die Brille dieses Streits betrachtet. "Darin bleiben wir dann gefangen und das ist echt jämmerlich."

Ben hat auch die Nase voll von dem Streit. Den Stolz, Belgier zu sein, habe er über diese ganze Geschichte verloren. Er könnte sich daher durchaus eine Abspaltung der frankophonen von den flämischen Gebieten vorstellen. Das einzige, das die Belgier überhaupt noch verbinde, sei die Monarchie.

"Wir wollen die Belgier nicht"

Glaubt man der Umfrage, scheinen auch die Franzosen nicht abgeneigt gegen ein solches Szenario: 60 Prozent der Franzosen an der Grenze zu Belgien hätten nichts gegen eine Aufnahme der frankophonen Belgier. Grégoire, der gerade aus Paris zu Besuch in Brüssel ist, gehört offensichtlich nicht zu den Befürwortern einer solchen Idee. "Wir wollen die Belgier nicht. Die haben ihre eigene Nation und das ist auch gut so. Den Franzosen geht es so gut, da sollen die nicht ihre Sprach- und Regionalprobleme zu uns bringen."

Die Flamen im Norden machen mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung aus, die Wallonen im Süden stellen knapp ein Drittel
Die Flamen im Norden machen mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung aus, die Wallonen im Süden stellen knapp ein DrittelBild: AP Graphics Bank/Wolf Broszies

Die einzige Lösung, und darüber sind sich alle am Tisch einig, bestehe darin, dass möglichst alle Belgier beide Sprachen beherrschen. Auch wenn die Gräben an manchen Stellen tief sind, wie das Beispiel einer Flämin zeigt, deren Vater zum Beispiel überhaupt nicht einverstanden war, als sie einmal einen frankophonen Freund hatte: "Aber ich finde, wir sind ein Land. Wenn einfach alle beide Sprachen lernen, dann gibt es keine Probleme mehr. Wir wollen Belgien erhalten."