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Sprachenstreit erschüttert Regierung

22. April 2010

In Belgien hat Regierungschef Yves Leterme seinen Rücktritt angeboten, zuvor waren die flämischen Liberalen aus der Fünf-Parteien-Regierungskoalition ausgetreten. Grund ist ein Sprachenstreit von Flamen und Wallonen.

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Yves Leterme verlässt im Auto das Palastgelände (Foto: ap)
Yves Leterme zweifelt an der RegierungsmöglichkeitBild: AP

Dürfen Flamen eine frankophone Partei in Brüssel wählen? Und haben Wallonen eine Möglichkeit, ihren französisch sprechenden Landsleuten in der belgischen Hauptstadt ihre Stimme zu geben, obwohl sie im flämisch geprägten Umland von Brüssel leben? Dieser Streit ist der Hauptkern einer Diskussion, die am Donnerstag (22.04.2010) zum Rücktrittsgesuch von Premierminister Yves Leterme geführt hat.

Liberale ziehen sich zurück

Parlamentgebäude in Brüssel (Foto: dpa)
Nur mit knapper Mehrheit kann im Unterhaus regiert werdenBild: picture alliance / dpa

Denn die flämischen Liberalen der Partei Open VLD waren mit der anhaltenden Diskussion um ein neu zu regelndes Wahlrecht in der Region um Brüssel unzufrieden und kündigten ihre Beteiligung an der Fünf-Parteien-Koalition aus Christdemokraten und Sozialisten auf. Seit dem Start der neuen Regierung im November 2009 hatten die Parteien um eine Einigung bis Ostern gerungen. Da ein akzeptabler Lösungsvorschlag fehlte, entschied sich der Vorsitzende der Liberalen, Alexander De Croo, zum Ausstieg aus der Koalition: "Eine Verhandlungslösung ist bis heute nicht in Sicht. Unser Vertrauen ist dadurch grundlegend zerstört."

Die Folge ist, dass Ministerpräsident Leterme nur mit einer hauchdünnen Mehrheit von 76 der 150 Sitze im Unterhaus des Parlaments regieren könnte. Diese Mehrheitsverhältnisse scheinen ihm aber nicht zu genügen, denn er fuhr noch am Donnerstagnachmittag zum Palast von König Albert II., um seinen Rücktritt anzubieten.

König hat noch nicht entschieden

Doch der König hat diesen zunächst nicht angenommen. "Der König hält seine Entscheidung offen", erklärte der Palast. Der König und Leterme hätten darauf hingewiesen, "wie ungelegen eine politische Krise unter den derzeitigen Umständen wäre", hieß es in der Mitteilung weiter. Verwiesen wurde darin auf die wirtschaftliche Lage und Belgiens Rolle auf europäischer Ebene. Im Juli übernimmt das Land den rotierenden EU-Ratsvorsitz.

Didier Reynders (Foto: ap)
Finanzminister Reynders hofft auf eine Fortsetzung der RegierungBild: AP

Auch führende Politiker hatten dazu aufgerufen, die Koalition fortzusetzen. "Das Schlimmste kann noch verhindert werden", sagte der liberale Vizepremier und Finanzminister Didier Reynders im belgischen Fernsehen. "Wir können keinen Regierungssturz gebrauchen – jetzt mitten in der wirtschaftlichen Krise", sagte Joelle Milquet von der christdemokratischen Partei CDH.

Zwei Sprachgebiete sorgen für Unmut

Belgien ist seit 1994 ein in drei Regionen geteilter Bundesstaat. Es gibt das niederländisch-sprachige Flandern und die etwas größere Wallonie, in der französisch gesprochen wird. Die zwei Sprachgebiete überschneiden sich in der Hauptstadtregion Brüssel. Zudem gibt es noch eine kleine deutschsprachige Gemeinschaft im Osten der Wallonie.

Anstecker am Anzugrevers mit der Aufschrift 'bhv splits belgie' (Foto: ap)
Der Sprachenstreit in der Region BHV rund um Brüssel spaltet BelgienBild: AP

Der Streit um den Status der Umlandgemeinden von Brüssel vergiftet schon lange das politische Klima in Belgien. Die Wähler im Gebiet Brüssel-Halle-Vilvoorde (BHV) haben die Möglichkeit, sowohl französischsprachige Parteien in Brüssel als auch flämischsprachige Parteien im Umland der Metropole zu wählen. Das Verfassungsgericht hat dies als unfair bezeichnet, weil Wähler in anderen Gebieten des Landes nur für die Parteien einer Region stimmen können. Eine von den flämischen Parteien favorisierte Lösung wäre die Teilung des Gebietes in Brüssel plus einige Kreise sowie das Umland, das dann völlig flämisch wäre.

Keine Lösung in Sicht

Die französischsprechenden Parteien sind gegen eine solche Lösung, weil dann ihre Anhänger im Umland von Brüssel keine Möglichkeit mehr hätten, eine frankophone Partei in Brüssel zu wählen. Die flämischen Parteien, die etwa 60 Prozent der 10,6 Millionen Belgier vertreten, beklagen, dass der Zuzug frankophoner Belgier aus Brüssel ins flämische Umland dessen kulturelle Identität zerstöre.

Autorin: Marion Linnenbrink (afp, dpa, rtr)
Redaktion: Oliver Samson