Späte Hilfe für Völkermordopfer
2. Oktober 2013Seit fast zwei Jahrzehnten hat Theophile Rwemarika auf diesen Moment gewartet. Mit anderen Überlebenden des ruandischen Völkermordes von 1994 sitzt er in einem Wartezimmer des Universitätskrankenhauses der Hauptstadt Kigali. "Seit 19 Jahren kann ich mein linkes Bein nicht bewegen", erzählt Rwemarika der Deutschen Welle. "Außerdem habe ich Kugelsplitter unter meinem rechten Knie."
Nun endlich sollen Rwemarika und rund 200 Leidensgenossen operiert werden. Das haben sie einer Gruppe von 17 plastischen Chirurgen aus Indien und Nigeria zu verdanken. Für zehn Tage sind die Spezialisten in Kigali. Das Team unter Leitung des indischen Chirurgen Dr. Ranjit Bhatia folgte einem Aufruf des ruandischen Gesundheitsministers. Die Rotary-Clubs von Ruanda, Indien und Nigeria und die Internationale Rotary-Stiftung unterstützen den Einsatz.
Lange Warteliste
Bereits vor anderthalb Jahren waren die Ärzte für einen ähnlichen Einsatz in Ruanda. Der Bedarf ist groß: Rund 2900 Menschen, die während des Völkermords verunstaltet wurden, warten noch auf Behandlung, heißt es im Gesundheitsministerium. Den großen Bedarf an plastischen Chirurgen kann das zentralafrikanische Land selbst nicht decken.
Bei dem 100-tägigen Völkermord 1994 waren Hunderttausende Menschen ermordet worden. Als ihn 1994 Angehörige der ruandischen Interahamwe-Miliz überfielen, ist der heute vierzigjährige Rwemarika knapp mit dem Leben davongekommen. Der Besuch aus Indien und Nigeria macht ihm und tausenden anderen Verletzten große Hoffnungen: "Narben, Verbrennungen, entstellte Gesichter" – seine Ärzte nähmen sich aller Probleme an, die durch chirurgische Eingriffe geheilt oder gelindert werden könnten, sagt Dr. Bhatia.
Hoffnung für Stigmatisierte
Während viele Patienten, wie Rwemarika, seit Jahren unter Behinderungen leiden, werden andere Opfer wegen schwerer Entstellungen stigmatisiert. Auch verunstalteten Gesichtern könnten seine Ärzte wieder eine ansehnliche Gestalt geben, verspricht Bhatia. Die Möglichkeiten seiner Kollegen seien dabei größer als die von Medizinern in vielen anderen Ländern. Er berichtet von einem früheren Einsatz in Malawi. Ein Hund hatte jemandem die Nase abgebissen. "Selbst Spezialisten in Südafrika konnten sie nicht retten. Doch unsere indischen Ärzte machten dem Patienten eine künstliche Nase."
Auch John Nyombayire vom Rotary-Club in Kigali ist an der Organisation des Ärztebesuchs beteiligt. Die Liste möglicher Patienten erstellte indes der Verband der Überlebenden des Völkermords. "Sie haben die nötigen Informationen", sagt Nyombayire der Deutschen Welle, "darum haben wir sie gebeten, die Bedürftigen ausfindig zu machen und zu uns zu bringen." Schon zu Beginn des Einsatzes am Dienstag (01.10.2013) warteten zahlreiche Patienten aus allen Teilen Ruandas darauf, operiert zu werden.