Staat schickt Kontrolleure in Kliniken
27. August 2012Bahrs Ankündigung ist die Konsequenz aus den vor fünf Wochen bekanntgewordenen Vorwürfen gegen zwei Göttinger Ärzte und einen in Regensburg tätigen Chirurgen, sie hätten Patientendaten gefälscht. Derzeit ermittelt deswegen die Staatsanwaltschaft. Die Ärzte sollen mit falschen Angaben ihre Patienten auf der Warteliste für die knappen Spenderorgane ganz vorn platziert haben.
Der liberale Gesundheitsminister einigte sich mit Vertretern der 16 Bundesländer sowie von Krankenkassen, Krankenhäusern und Ärzteverbänden auf stärkere Kontrollen der 48 deutschen Transplantationszentren. Alle sollen auch auf Auffälligkeiten hin untersucht werden. An den Kontrollen sollen externe Fachleute beteiligt werden. Zudem sollen künftig mindestens drei Personen über die Aufnahme von Patienten auf Wartelisten für Organe entscheiden. Auch sollen die Transplantationen in Eilfällen besser und nachvollziehbarer dokumentiert werden.
Laut Bundesärztekammer hat es in den vergangenen Jahren bei rund 50.000 Transplantationen nur 31Verstöße bei der Organvergabe gegeben. Trotzdem ist seit Bekanntwerden des jüngsten Manipulationsverdachts die Bereitschaft zur Organspende in der Bevölkerung gesunken, was den bereits bestehenden Mangel an Spenderorganen verschärft. Im vergangenen Jahr starben rund 1100 Menschen in Deutschland, während sie auf Organe warteten.
16.000 Patienten warten
Die Organspende in Deutschland wird von den Selbstverwaltungsgremien von Kliniken, Krankenkassen und Ärzten organisiert. Den Rahmen gibt ein soeben novelliertes Transplantationsgesetz vor. Wer letztlich ein Spenderorgan bekommt, wird von der Stiftung Eurotransplant bestimmt, die derzeit Wartelisten mit 16.000 potenziellen Empfängern führt. Eurotransplant vermittelt Spenderorgane in sieben europäische Länder ( Deutschland, Belgien, Kroatien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Slowenien).
Die Reihenfolge richtet sich nach einem Punktesystem, das unter anderem die Dringlichkeit, Wartezeit und Erfolgsaussicht berücksichtigt. Der behandelnde Arzt übermittelt die Laborwerte seines Patienten zur Eurotransplant-Zentrale ins niederländische Leiden und nimmt damit die Schlüsselposition im System ein. Die Ärzte haben auch die Möglichkeit, ihre Fälle als "hochdringlich" anzumelden. Die Bundesärztekammer hatte sich bereits kurz nach Bekanntwerden des Skandals für eine engere Zusammenarbeit mit staatlichen Ermittlungsbehörden ausgesprochen, weil diese ein größeres Zugriffsrecht hätten.
Zweifel am "beschleunigten Verfahren"
In den Blick der Öffentlichkeit ist seit dem Skandal auch die sogenannte beschleunigte Vergabe von Organen geraten. Dieses Verfahren soll eigentlich nur für Organe älterer oder kranker Spender angewendet werden, für die es nur wenige geeignete Empfänger gibt. Es räumt Kliniken jedoch auch die Möglichkeit ein, Herz, Niere oder Leber abseits der Reihenfolge auf den Wartelisten zu vergeben. Jede dritte Spenderleber, mehr als jedes fünfte Herz und fast die Hälfte der Bauchspeicheldrüsen erreichen die todkranken Empfänger mittlerweile nicht mehr nach den üblichen Regeln. Deshalb gibt es die Vermutung, dass auch dabei manipuliert werden könnte.
Die Bundesregierung erklärt den Anstieg der "beschleunigten Vergabe" dagegen mit der Tatsache, dass das Alter der Spender gestiegen und damit auch die Anzahl der Organe, die nur für wenige Empfänger geeignet sind und ohne den Umweg über Eurotransplant zugeteilt werden können.