Staatsbesuch beim ehemaligen Staatsfeind
1. April 2019Es sollte der Höhepunkt in der Politkarriere von Jorgos Varemenos werden: Ins ferne Australien reiste der Vizepräsident des griechischen Parlaments, um den Nationalfeiertag am 25. März gemeinsam mit Auslandsgriechen zu feiern. Doch kaum hatte er seine Ansprache in Melbourne begonnen, meldeten sich selbsternannte Patrioten zu Wort und störten die Veranstaltung. Varemenos sei ein Verräter und solle sich schämen, da er und seine Parteigenossen Mazedonien ausverkauft hätten, hieß es lautstark. In einem Interview beschwerte sich der Linkspolitiker daraufhin über "faschistische Parolen einer Minderheit". Es war kein Einzelfall. Auch in mehreren griechischen Städten kam es anlässlich der Feierlichkeiten zu Buhrufen und Pfiffen gegen den jüngsten Kompromiss im Namensstreit mit dem nördlichen Nachbarstaat.
Regierungschef Alexis Tsipras lässt sich davon nicht beirren. Am Dienstag reist er mit einer Wirtschaftsdelegation nach Nordmazedonien und wird dort von seinem Amtskollegen Zoran Zaev feierlich empfangen. Es ist der erste Besuch eines griechischen Regierungschefs in Skopje. Auf dem Besuchsprogramm stehen Beratungen zur Sicherheits- und Wirtschaftspolitik, sowie ein Treffen mit Parlamentspräsident Talat Xhaferi. "Ein historischer Besuch", urteilt Konstantinos Filis, Forschungsdirektor am Athener Institut für Internationale Beziehungen, im Gespräch mit der DW.
Besonders wichtig und vielversprechend sei die künftige Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich im Rahmen der NATO oder auch bilateral. Offiziere aus Skopje würden demnächst auch in der griechischen Armee ausgebildet werden, glaubt Filis. Zudem könne Athen bei der Überwachung des Luftraums über Nordmazedonien Hilfe leisten. "Wirtschaftskontakte gab es auch in der Vergangenheit, doch die Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik ist etwas völlig Neues, betrifft den Kern staatlicher Souveränität und verleiht deshalb den bilateralen Beziehungen ein ganz anderes Gewicht", erläutert der Analyst.
Abkommen "unzureichend umgesetzt"?
Im Sommer 2018 konnten Tsipras und Zaev den langjährigen Streit um den Staatsnamen Mazedoniens beilegen: Demnach wird der junge Balkanstaat in "Republik Nord-Mazedonien" umbenannt. Im Gegenzug verpflichtet sich Hellas, ihn mit seinem neuen Namen anzuerkennen. Zudem will Athen den NATO- und EU-Beitritt Nordmazedoniens unterstützen und nach Kräften vorantreiben. Nach langen innenpolitischen Debatten und dem Rücktritt seines rechtspopulistischen Verteidigungsministers konnte Tsipras den Kompromiss im Januar 2019 im Parlament durchbringen. Die konservative Opposition, die derzeit in allen Umfragen führt, läuft Sturm gegen das Abkommen. Dennoch versichert Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis mittlerweile, nach einem Regierungswechsel werde er den Kompromiss mit dem jungen Balkanstaat nicht in Frage stellen.
Doch die Proteste dauern an, vor allem im Norden Griechenlands. Außerdem: Nordmazedonien habe das Abkommen bisher nur unzureichend umgesetzt, mahnt Politikwissenschaftler Filis. So manche Äußerungen von Premier Zaev über "Mazedonier, die an der Ägäis leben" - womit die Existenz einer slawischen Minderheit in Hellas impliziert wird - verstoßen zumindest gegen den Geist dieser Vereinbarung, glaubt der Analyst. Wenn Griechenland nun in Skopje eine Botschaft eröffnet, würden mehrere Diplomaten mit der Aufgabe betraut werden, derartige Äußerungen akribisch festzuhalten. "Allerdings braucht es etwas Zeit, um das Abkommen mit Leben zu füllen, das ist auch allen Beteiligten klar", mahnt der Politikwissenschaftler.
Ein günstiges Momentum
Was die beiden Seiten zusammenbringt, ist nicht zuletzt die europäische Perspektive Nordmazedoniens, glaubt Miltos Kyrkos, EU-Parlamentarier der sozialliberalen Partei To Potami. "Unser nördlicher Nachbar gibt sich bereit, der EU beizutreten und wir sollten das günstige Momentum nutzen und ihm dabei helfen", sagt Kyrkos im Gespräch mit der DW. Sollte sich in Skopje etwas ändern - etwa nach einem Regierungswechsel - dann biete das EU-Recht genug Möglichkeiten, um dagegen zu steuern, gibt er zu bedenken.
Zunächst setzen die Politiker auf die Wirtschaft. Längst sind griechische Geschäftsleute im Nachbarstaat aktiv, das jüngste Abkommen soll weiteren Auftrieb geben. Schon kurz nach der Unterzeichnung nahm die griechische Fluggesellschaft Aegean Airlines erstmals Direktflüge von Athen nach Skopje auf. Für diesen Dienstag prognostiziert die regierungsnahe Zeitung Ethnos eine neue "Landung auf Skopje" - gemeint sind die über 50 Unternehmer und potentielle Investoren aus Hellas, die Premier Tsipras auf seiner Reise nach Nordmazedonien begleiten. Absagen gibt es allerdings auch: Aus Protest gegen den Kompromiss im Namensstreit hat der Chef der Handelskammer von Thessaloniki Michalis Zorpidis eine Teilnahme an der Delegation von Tsipras abgelehnt. Begründung: "Der Name Mazedonien ist uns heilig und wir werden alles tun, um ihn zu verteidigen", heißt es in einer Mitteilung der Handelskammer.