Künstler wegen Islam-Kritik verurteilt
15. April 2013Say ist ein bekennender Atheist und ein bekannter Kritiker der islamisch-konservativen Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. Der 43-Jährige, der sich zur Zeit auf einer Deutschland-Tournee befindet, hatte über den Kurznachrichtendienst Twitter mehrere kritische und spöttisch formulierte Äußerungen verbreitet, die sich über islamische Frömmelei und Scheinheiligkeit lustig machten. Das Gericht betrachtete dies als Herabsetzung der "religiösen Werte eines Teils der Bevölkerung". Die Staatsanwaltschaft hatte dafür anderthalb Jahre Haft gefordert.
Urteil "besorgniserregend"
Bei der Prozesseröffnung im Oktober hatte Say erklärt, er habe den Islam und gläubige Muslime nicht beleidigen wollen. Seine Verurteilung nannte er jetzt auf seiner Facebook-Seite bedauerlich. Für die Meinungs- und Glaubensfreiheit in der Türkei sei die Entscheidung des Gerichtes besorgniserregend. Ähnlich sieht die Kommission der Europäischen Union den Fall. Man habe den Richterspruch "mit Besorgnis" zur Kenntnis genommen, sagte eine Sprecherin in Brüssel: "Die Kommission betont, dass die Türkei die Meinungsfreiheit vollkommen respektieren muss gemäß der Europäischen Konvention für Menschenrechte sowie der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte." Die EU führt mit der Türkei Beitrittsgespräche, die allerdings auf der Stelle treten.
Fazil Say gehört zu den Top-Stars der internationalen Musikszene und zu den bekanntesten Künstlern der Türkei. Als Solist und mit führenden Orchestern der Welt gelang ihm eine steile Karriere. Dabei verfügt er über ein breites Repertoire, das auch Jazz einschließt und musikalische Wurzeln in der traditionellen Musik Anatoliens erkennen lässt. Nach einem Klavier- und Kompositionsstudium am Staatlichen Konservatorium in Ankara hatte Say von 1992 bis 1995 seine Ausbildung am Berliner Konservatorium fortgesetzt. 1994 gewann er beim europäischen Nachwuchswettbewerb für Musiker den ersten Preis und schaffte damit den Durchbruch. 2010/11 war er "Artist in Residence" beim Konzerthaus Berlin. Beim Schleswig-Holstein Musikfestival 2011 wurde ein Klarinettenkonzert von ihm uraufgeführt.
wl/sti (dpa, afp)