Startup mit 400 Jahren Tradition
29. August 2019Es ist die Gegend westlich von Hannover, wo das Adelsgeschlecht derer von Schaumburg-Lippe einst herrschte und bis heute heimisch ist. Schloss Bückeburg ist der Stammsitz des Hauses. Auch im benachbarten Stadthagen, der Kreisstadt des heutigen Kreises Schaumburg, gibt es ein Schloss, das vom einstigen Glanz der sogenannten Weser-Renaissance zeugt. Ansonsten glänzt da nicht mehr viel. Stadthagen zum Beispiel, 23.000 Einwohner: Ein über die vergangenen 100 Jahre gewachsener Industriestandort - heute ist davon fast nichts mehr übrig, tausende Jobs sind in den letzten Jahren verschwunden.
Also kommt es auf jedes Unternehmen an, das überlebt - und sei es noch so klein. Ein Beispiel findet sich vier Kilometer vor den Toren Stadthagens, im 2000-Seelen-Örtchen Meerbeck. 400 Jahre ist es her, dass dort eine Windmühle errichtet wurde. Heute stellt Sölters Mühle Futtermittel her. 16 Mitarbeiter produzieren Futter für Pferde, Hühner und Wildvögel, insgesamt 6500 Tonnen im Jahr.
Entscheidung aus freien Stücken
In mittlerweile achter Generation führen die Brüder Frederik und Sören Sölter die Geschäfte. Die beiden sind Anfang 30 und haben das Unternehmen vor sechs Jahren von ihrem Vater Wilhelm übernommen.
"Die Jungs haben eine kaufmännische Ausbildung genossen und bringen das gut zur Geltung", lobt der 70-jährige gelernte Müller. Klar, er habe noch immer einen kritischen Blick auf "seine" Mühle, sagt er, "aber jeder muss eigene Fehler machen und daraus lernen." Das sei bei ihm nicht anders gewesen.
Kein Fehler sei es allerdings gewesen, Ende der 1990er Jahre die Mehlproduktion in Meerbeck einzustellen und stattdessen auf den Handel mit landwirtschaftlichen Produkten zu setzen sowie auf die Futtermittelproduktion. Dieses Geschäft wollen die Söhne ausbauen.
Er sei seinen Jungs dankbar, dass sie das Unternehmen fortführen, das sei nicht selbstverständlich, wo doch heute "alle über die Landflucht reden". Es war eine "Entscheidung aus freien Stücken", sagen die Brüder Sören (34) und Frederik (32). "Ich würde es immer wieder so machen, definitiv", so Frederik. "Ich bereue überhaupt nichts. Ich wollte schon immer mein eigener Chef sein. Ich arbeite lieber zehn Stunden am Tag in meiner Einteilung als acht Stunden für wen anders."
Verantwortungsgefühl vermitteln
Er habe sich zum Grundsatz gemacht, sagt Wilhelm Sölter, "das, was ich von meinem Vater geerbt habe, lukrativ und vernünftig weiterzuführen. Wenn ich das der nächsten Generation weitergeben kann, freut mich das."
Sein Vater Wilhelm habe ihm vor allem ein "Gefühl für Verantwortung" vermittelt, sagt Sören. "Nicht nur für die Familie oder fürs Familienunternehmen, sondern auch innerhalb des Ortes."
Man müsse seinen Kindern das Unternehmertum "attraktiv vorleben", sagt der Vater. Es sei harte Arbeit, aber die "work-life-balance" müsse natürlich auch stimmen, um die jüngere Generation zu begeistern.
Der Vater begleitet seine Söhne kritisch, etwa als sie bei ihm vorsprachen für Startkapital zum Aufbau eines Onlineshops. "Ihr hört sowieso nicht auf mich, wenn ich nein sage", war die Antwort. Und: In fünf Jahren müsse der Shop schwarze Zahlen schreiben, sonst werde er dichtgemacht.
Nach anderthalb Jahren warf der Onlinehandel den ersten Gewinn ab. Trotzdem lag eines Tages eine Strafandrohung über 100.000 Euro im Briefkasten, weil die jungen Geschäftsführer vergessen hatten, Vergleichspreise auf Kilobasis anzugeben. Die Sache ging glimpflich aus. Das seien eben Fehler, die jeder machen müsse, um daraus zu lernen, sind sich alle drei einig.
Wachstumsraten wie ein Startup
Heute brummt der Onlineversand, und man hätte schon längst in den Ausbau investieren müssen. Aber alles auf einmal ginge eben nicht, so der Vater, weil auch ins herkömmliche Geschäft investiert werden musste. Jetzt aber ist der Onlineshop dran, mit einer Abfüllanlage für kleine Mengen, die bislang von Hand eingetütet werden mussten.
Dringend nötig sei auch eine neue Lagerhalle, doch da fehlt den Sölters die Baugenehmigung. Seit zwei Jahren kämpfen sie darum, Platz ist vorhanden, aber eben auch ein natürliches Rückhaltebecken ein paar Meter nebenan, in dem Frösche leben. Mehr als 20.000 Euro hätten sie schon ausgegeben für Gutachten und Projektberater, erzählt Sören. Passiert sei bislang wenig, trotz enormen bürokratischen Aufwands.
Doch davon wollen sich die Brüder nicht aufhalten lassen. Die Konkurrenz ist schließlich groß, allein in Norddeutschland gibt es etliche Futtermittelhersteller. "Wir erfinden uns nicht jeden Tag neu", sagt Sören Sölter, "aber jedes Jahr." Durch den Onlineshop hätten sie es geschafft, Wachstumsraten wie erfolgreiche Startups zu generieren. "Da müssen wir den Vergleich nicht scheuen. Ja, wir sind ein Startup - mit 400 Jahren Erfahrung."
Wilhelm Sölter steht dabei und hört zufrieden zu. War wohl richtig, seine Entscheidung, die Firma in die Hände seiner Söhne zu legen. "Man muss sich mit dem Gedanken schon frühzeitig befassen." Aber weil er seine Jungs gut kenne, sei ihm das ganz leichtgefallen. "Es bleibt einem ja auch nichts anderes übrig. Die Zeit läuft dahin und wenn man nicht loslassen kann, ist das schlecht für den ganzen Betrieb."