Interview mit Regisseur Stefan Herheim
3. August 2011Deutsche Welle: Ihr Heimatland Norwegen trauert im Moment um die Opfer von zwei schrecklichen Terroranschlägen. Haben Sie Zeit gefunden, sich mit dieser Situation zu beschäftigen, zu sehen, was zu Hause los ist?
Stefan Herheim: Ich bin ja jetzt zu Hause in Berlin und habe das von dort alles per Fernseher mitbekommen und durch Telefonate natürlich mit meiner Familie und Freunden. Man ist einfach sprachlos. Das ist eine neue Dimension der Gewalt, wenn so eine gestörte Person wie dieser Attentäter mit so einer schlauen Kraft, mit der Intelligenz zu wissen, wie man am meisten Schaden anrichten kann, das allein macht. Man dachte ja zunächst, das ist professioneller internationaler Terrorismus. Aber dass ein einzelner Mensch dahinter steht, das ist eine Dimension, die ist gar nicht fassbar.
Man hätte gar nicht erwartet, dass so etwas in Norwegen passiert.
Sowieso nicht, gar nicht. Davon sind wir immer verschont geblieben bis jetzt, Gott sei Dank. Aber das hat das Land natürlich bis in die Wurzeln aufgerissen und aufgewühlt. Das ist eine Wunde, die lange nicht heilen wird.
Hier in Bayreuth wird Ihre „Parsifal“-Inszenierung von 2008 wieder aufgenommen. Wenn Sie sie nach einigen Jahren jetzt wieder sehen: Würden Sie das heute genau so machen wie damals?
Im Kern glaube ich: Ja, das ist nach wie vor sehr, sehr stark. Es ist ja auch nicht so, dass ich zurückkehre und eine alte Arbeit anschaue, es ist ein "work in progress" in gewisser Hinsicht. Es sind neue Sänger dabei, sie müssen intensiv arbeiten und es ist nur eine kurze Zeit, die für Proben zur Verfügung steht. Und natürlich gibt es Momente, Szenen, Situationen, wo ich sage, da würde ich wahnsinnig gerne jetzt – im Rahmen des Konzeptes - aus einem ganz anderen Winkel herangehen. Aber das hätte dann zur Folge, dass man auch teilweise neue Kostüme braucht, auch an der Dekoration hätte arbeiten müssen. Da sind die Möglichkeiten hier natürlich begrenzt.
Bei den früheren Aufführungen hat es am Ende des zweiten Aktes, wenn sich diese Fahnen mit den Hakenkreuzen ausrollen, auch Buhs und Proteste im Publikum gegeben, heute nicht. Was hat sich denn da verändert?
Ich erlebe das ja nicht nur hier, sondern in vielen Vorstellungen. Da wird etwas auf den Punkt gebracht in einer Art und Weise, wie die Leute es vielleicht nicht erwarten, wie sie es noch nicht gesehen haben. Die vermuten, dahinter steckt jetzt nur eine Lust auf Provokation, auf blinde Provokation, womöglich. Und dann braucht es eben eine gewisse Reife, eine Zeit, eine Rezeptionsgeschichte. Die entwickelt sich dann natürlich über die Jahre hinweg. Aber vor allem, denke ich, wird es der Zuschauer ohne diesen Druck von außen beurteilen. Man geht vorurteilslos heran und ich glaube, jeder merkt, dass das in sich eine sehr schlüssige Angelegenheit ist, die eben auf dieser Geschichtsschiene fährt und zu einer Konsequenz kommen muss, und von daher gibt es eigentlich überhaupt keine Alternative zu dieser Bilderkraft.
Wo halten Sie sich denn während der Vorstellung auf?
Im Zuschauerraum. Ich gehe immer in meine eigene Aufführung rein. Das ist für mich ganz wichtig. Denn die Probearbeiten und die Auseinandersetzung mit dem Werk, mit den Sängern auf der Probebühne ist die eine Sache. Das betrachte ich eigentlich nie als Kunst. Die Kunst entsteht erst in der Auseinandersetzung mit den Zuschauern, die sich für etwas öffnen. Und wenn diese Membranen zwischen Zuschauerraum und Bühne in Schwingung, in Bewegung gesetzt werden, dann wird jeder dabei auch Unterschiedliches erleben. Aber zweitausend Menschen sitzen eben gemeinsam in einem dunklen Raum, erleben zunächst einmal dasselbe und fühlen sich insofern auch im selben Boot. Es ist eine Erweckung des Theaters, eine Belebung. Und diesen Prozess möchte ich mir nicht entgehen lassen. Da bin ich immer gerne dabei und gehe auch ganz kritisch mit mir um anhand der Reaktionen, die ich da spüre. Ob eine Vorstellung wirklich funktioniert, weiß man eigentlich erst, wenn das Publikum da ist.
Opernsängern wird ja sehr häufig nachgesagt, dass sie ganz schlechte Schauspieler seien. Welche Erfahrungen machen Sie als Regisseur hier in Bayreuth?
Grundsätzlich ist natürlich die Arbeit in Bayreuth sehr besonders, weil Leute, die das ganze Jahr über in aller Welt professionell Oper machen, freiwillig ihre Sommerferien hier verbringen, um Wagner in Wagners eigenem Haus, in Wagners eigenem Theater zu machen. Sie kommen mit einem sehr hohen Anspruch an das "Gesamtkunstwerk", wie Wagner es selbst genannt hat. Insofern hat man hier eigentlich nie ein Problem, was die Motivation angeht. Man hat auch die Ruhe und einen unglaublichen Fokus auf die neu zu produzierende Produktion. Und das war natürlich eine einmalige Erfahrung, hier arbeiten zu dürfen. Das ist nicht selbstverständlich, auch hier vor Ort nicht. Das muss geschützt und bewahrt werden. Da sehe ich jetzt auch Probleme kommen, denn es hat sich einiges geändert in den letzten Jahren. Für die vorhandenen Produktionen, aber erst recht auch bei Neuproduktionen wird viel zu wenig Zeit angeboten, um ein Ziel zu erarbeiten und zu erreichen. Das hat viel mit Finanzen zu tun.
Viele Ihrer Inszenierungen, auch dieser "Parsifal" 2011 in Bayreuth, werden als Meilensteine in der Operngeschichte gesehen. Aber manche sagen auch, dass Sie provozieren. Sehen Sie sich selbst als Provokateur? Möchten Sie die Leute aus ihren Hör- und Sehgewohnheiten, ihren Rezeptionsgewohnheiten herausholen?
Also, ich bin gewiss nicht jemand, der frohlockt mit seiner eigenen Provokation, in dem Sinne: jetzt komme ich und werfe euch etwas auf den Kopf. Provokation ist aber ein Phänomen, das es überall auf allen Lebensebenen gibt. Natürlich erst recht in der Kunst. Wir müssen uns auseinandersetzen und uns dann in diesem Prozess wieder erkennen. Und es sind ja keine Kindergeschichten, die auf der Bühne laufen. Das sind ja keine reinen, lustvollen Illusionsgeschichten, die da erzählt werden, sondern es geht um die Wurst, um das mal so zu sagen. Es geht um ganz existentielle philosophische, psychologische Auseinandersetzungen, die eben auch das Dasein in seiner Ganzheit widerspiegeln, um uns als Menschen immer wieder neu in Frage zu stellen. Wir glauben, dass diese Wagner-Opern schon damals, als sie herauskamen, ungefährlich, hübsch und schön gewesen sind. Ganz im Gegenteil! Das war damals drastisches, frisches, neues, spektakuläres Theater, was natürlich auf sehr, sehr viel Widerstand gestoßen ist. Im Nachhinein verklärt man diese Prozesse.
Was kann uns eigentlich Oper, was kann uns Musiktheater heute noch sagen?
Es kann uns alles sagen, es kann uns auch nichts sagen. Da ist eine Frage, wie man das macht, wie man damit umgeht, was es überhaupt zu sein hat. Und das ist eine Frage, die immer wieder neu definiert werden muss. Es hat sich sehr, sehr viel verwandelt durch unsere Kulturgeschichte zwischen Bürgertum heute und diesem scheinbar elitären Anspruch. Die Oper ist populärer als je zuvor. Es werden in Europa jetzt immer noch neue, teure Opernhäuser gebaut. Aber Oper muss sich selbst immer von innen heraus legitimieren und sich an lebendige Menschen als lebendige Kunstform wenden. Wenn die Oper tot scheint als Kunstform, dann nur, weil die Menschen, die das ausüben und rezipieren, womöglich auch tot sind. Ich hoffe eben, immer wieder beweisen zu können, dass ich ein Mensch aus Fleisch und Blut bin, der für das Recht des Lebens kämpft. Und ich liebe gerade diese Auseinandersetzung im Kollektiv sehr.
Wie sieht denn Ihr Terminkalender aus, was sind Ihre neuen wichtigen Projekte?
Jetzt kommt ja das große Jubiläumsjahr 2013 auf uns zu. Der 200. Geburtstag von Richard Wagner. Aber auch Giuseppe Verdi wird groß gefeiert. Ich habe viel Wagner gemacht in den letzten Jahren. Jetzt widme ich mich eher Verdi. Und gehe mit großen Produktionen an Häuser, an denen ich bis jetzt noch nie gearbeitet habe. Auch in europäische Länder, in denen ich noch nie war. Mein Kalender ist bis 2017 voll. Also von daher kann ich mich nicht beklagen. Eher ist es so, dass man ab und zu denkt, es wäre schön, ein bisschen mehr Flexibilität zu haben, ein bisschen spontaner auf Sachen eingehen zu können, aber andererseits ist es auch ein großer Segen, der mit der Flut kommt.
Aber schwindelig wird es Ihnen nicht, wenn Sie auf Ihre Agenda gucken, oder?
Gelegentlich ergreift einen schon ein bisschen die Panik, wenn man einfach merkt, dass man hinterher hinkt, rein zeitlich zum Beispiel. Das alles kostet eben sehr, sehr viel Kraft und es ist auch notwendig, den Anschluss an die Realität, an das normale Leben nicht zu verlieren. Man schöpft ja aus dem Leben heraus. Und wenn man da irgendwann nur noch zum Selbstläufer wird und das bedient, was für einen selbst zur Routine geworden ist, dann besteht die Gefahr, dass man sich eigentlich nur noch wiederholt statt zu erneuern.
Das Gespräch führte Cornelia Rabitz
Redaktion: Gudrun Stegen
Stefan Herheim (41) ist in Norwegen geboren. Er wurde zunächst als Cellist ausgebildet, hatte dann ein Marionettentheater und studierte ab 1994 Opernregie in Hamburg. Seit zwölf Jahren inszeniert er an den großen Opernhäusern Europas. Seine Inszenierungen wurden immer wieder kontrovers diskutiert. Drei Mal wurde Herheim von der "Opernwelt" zum Regisseur des Jahres gekürt.