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Griechische Diplomatie am Rande des Abgrunds

Bernd Riegert (Studio Brüssel)5. Mai 2015

Angesichts einer angeblich nahenden Pleite ist der griechische Finanzminister kurzerhand nach Brüssel gereist. Er will zeigen, dass er noch da ist. Doch ein Durchbruch blieb aus, berichtet Bernd Riegert aus Brüssel.

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Yanis Varoufakis in Brüssel (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/Y Herman

Und plötzlich war er wieder da: Für viele Beobachter in Brüssel unerwartet tauchte Yanis Varoufakis bei EU-Kommissar Pierre Moscovici zu einem kurzen Besuch auf. Eigentlich hatte man gedacht, dass sich der griechische Finanzminister bei den Gesprächen mit den internationalen Geldgebern jetzt eher im Hintergrund hält, nachdem ihm sein Regierungschef Alexis Tsipras am Wochenende einen neuen Verhandlungsführer vor die Nase gesetzt hatte. Doch diese Einschätzung war offenbar falsch, staunt ein EU-Diplomat: "Das hier ist eine richtige Charme-Offensive." Yanis Varoufakis hatte zuvor selbstbewusst der Zeitung "Die Zeit" gesagt, er sei immer noch zuständig für die Verhandlungen und werde von anderen Regierungsmitgliedern lediglich unterstützt.

Varoufakis besuchte am Dienstag auch seinen französischen Amtskollegen Michel Sapin in Paris, bevor er nach Brüssel kam. Nach Frankfurt am Main flogen der stellvertretende Regierungschef Griechenlands, Yannis Dragasakis und der neue ökonomische Chefunterhändler Euclid Tsakalotos. Dort trafen sie den Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi. Am Montag hatte Premierminister Alexis Tsipras, der fast 100 Tage im Amt ist, erneut mit Bundeskanzlerin Angela Merkel telefoniert.

Mario Draghi(Foto: dpa)
Mario Draghi: Letzte LebensversicherungBild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Konstruktiv und fruchtbar?

Was die griechische Regierung mit ihrer neuen diplomatischen Initiative genau erreichen will, lässt sich aus den Äußerungen der Beteiligten nicht präzise ablesen. Finanzminister Varoufakis sagte nach seinem Gespräch bei der EU-Kommission in Brüssel, es habe "konstruktive Unterredungen" gegeben. Mit einer Einigung im Schuldenstreit rechtzeitig vor dem nächsten Treffen der Finanzminister der Euro-Zone am kommenden Montag rechnet Varoufakis nicht mehr. "Es wird eine fruchtbare Diskussion über die erzielten Fortschritte geben." Am Montag könne die Euro-Gruppe einen weiteren Schritt hin zu einer erfolgreichen Vereinbarung machen. In der vergangenen Woche war eine Annäherung zwischen Griechenland und den restlichen Staaten der Euro-Gruppe nach Angaben von Teilnehmern auch an der Sturheit und dem unversöhnlichen Auftreten von Varoufakis selbst gescheitert. Er war beim Treffen in Riga "vollständig isoliert", so ein Teilnehmer.

Vor seiner Reise nach Brüssel hatte der griechische Finanzminister, der bis zum Januar Ökonomieprofessor war, in griechischen Medien noch gesagt, sein Land wolle in Zukunft ohne weitere Kredite auskommen. Voraussetzung dafür sei ein Schuldenerlass durch die Kreditgeber. Der wackeligen Euro-Währungsgemeinschaft hätte, so Varoufakis, Griechenland gar nicht beitreten sollen. Gleichzeitig vermittelten andere Politiker der radikalen Links-Rechts-Koalition in Athen den Eindruck, das Land stehe kurz vor der Pleite und sei dringend auf eine möglichst schnelle Auszahlung von Hilfs-Milliarden angewiesen. Seit 2010 hat sich Griechenland 240 Milliarden Euro bei europäischen Staaten, dem europäischen Rettungsschirm und dem Internationalen Währungsfonds zu äußerst günstigen Konditionen geliehen. Vom regulären Kapitalmarkt ist es abgeschnitten.

Erhöht die EZB ihre indirekten Hilfen?

Angeblich wollten die griechischen Emissäre in Frankfurt bei der Europäischen Zentralbank darauf drängen, dass ein Teil der ausstehenden Hilfsgelder in Höhe von 7,2 Milliarden Euro bereits vor einer endgültigen Einigung mit der Euro-Gruppe ausgezahlt wird. Die Europäische Zentralbank könnte der griechischen Regierung die Finanzierung des Staates auch dadurch erleichtern, dass sie die Ausgabe von kurzlaufenden Staatsanleihen, so genannter T-Bills, ausweitet. Dieses Finanzierungsinstrument ist derzeit bei 15 Milliarden Euro gedeckelt und voll ausgeschöpft. Beim Finanzministertreffen letzte Woche in Riga lies EZB-Präsident Mario Draghi wenig Neigung erkennen, den Griechen beizuspringen. Die EZB könnte die Notfallkredite ausweiten, die griechische Banken von der nationalen Zentralbank erhalten können. Dieses ELA-Programm ist im Moment die letzte Finanzierungsquelle für griechische Banken.

EU Kommissar Pierre Moscovici (Foto: Reuters)
Pierre Moscovici: Keine schönen Zahlen für HellasBild: Reuters/Yves Herman

Griechenland sackt ab

Der EU-Kommissar für Wirtschaft, Pierre Moscovici, gab sich nach dem Gespräch mit Yanis Varoufakis in Brüssel vage. Er legte seinem Gast noch einmal dar, dass die EU in diesem Jahr in Griechenland anstelle einer Konjukturbelebung jetzt höchstens noch eine Stagnation erwarte. "Wegen der großen Unsicherheit über die Zukunft in Griechenland müssen wir unsere Prognose nach unten korrigieren", hatte Moscovici am Mittag vor Journalisten gesagt. Der Internationale Währungsfonds in Washington geht nach Angaben seines Europa-Chefs Poul Thomsen davon aus, dass der griechische Staat wieder Defizite erwirtschaften wird, statt der erwarteten Überschüsse. Thomsen spricht sich laut "Financial Times" dafür aus, die griechischen Schulden teilweise abzuschreiben. Das lehnen die Euro-Staaten bislang ab.

Art Cologne 2015 (Foto: Reuters)
Euro ohne Wert? Kunstobjekt auf der Art CologneBild: Reuters/W. Rattay

Kernfragen noch nicht gelöst

"Ich hoffe, dass wir bis zum 11. Mai gute Fortschritte in unserer Diskussion erreichen. Das ist das Signal, auf das in Griechenland und bei seinen Partnern jeder wartet", gab Moscovici Finanzminister Varoufakis zum Abschied mit auf den Weg. Parallel zu den politischen Rundreisen laufen in Brüssel die Verhandlungen zwischen den Experten und Beamten der drei Institutionen, Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds, sowie Griechenland weiter. Es heißt, die Atmosphäre sei nun besser als in den letzten Wochen. Ob in der Substanz Fortschritte erzielt wurden, ist unklar. Es geht im Kern um die Frage, ob Griechenland ausreichende Reformen als Gegenleistung für weitere Kredite anbieten kann, ohne die Wahlversprechen der links-rechtspopulistischen Regierung aufzugeben. EU-Diplomaten, die mit den Verhandlungen befasst sind, glauben nicht, dass eine Einigung kurz bevorsteht. Selbst wenn die Finanzminister nächste Woche Beschlüsse fassten, würde eine Auszahlung der verbliebenen Mittel aus dem zweiten Hilfspaket noch Tage, wenn nicht Wochen dauern.

Berlin erwartet keinen Besuch

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble kommentierte die griechischen Diplomatie-Offensiven mit den Worten: "Im Moment bin ich eher skeptisch, dass sich vor Montag etwas bewegt, aber ich will es nicht ausschließen." Und dann sagte Schäuble vor ausländischen Korrespondenten, was er immer sagt. Deutschland tue alles, um Griechenland zu helfen. "Über einen Grexit spekulieren wir nicht." Schäuble ließ durchblicken, dass er keinen überraschenden Besuch von Yanis Varoufakis in Berlin erwartet.