"Stein-Smileys" am Rio Negro: Dürre legt prähistorische Gravuren frei
Für die Natur ist es eine Katastrophe, für die Archäologie ein Glücksfall: Die anhaltende Dürre im brasilianischen Amazonas-Gebiet sorgt für niedrige Pegelstände - und hat vorkoloniale Gravuren zum Vorschein gebracht.
Spuren im Stein
Sie könnten bis zu 2000 Jahre alt sein: Gravuren in Form von menschlichen Gesichtern, die heutzutage normalerweise unter Wasser liegen. Doch seit Juli ist der Pegel des Rio Negro in Brasilien, eines der größten Zuflüsse des Amazonas, aufgrund anhaltender Dürre um 15 Meter gesunken - und die in Felsen gehauenen Figuren, die an Emojis erinnern, tauchten auf.
Rio Negro auf Rekordtief
Letzte Woche erreichte der Rio Negro seinen niedrigsten Stand seit 121 Jahren - so wurde der Felsvorsprung freigelegt, auf dem sich die Gravuren befinden. Der "Ponto das Lajes" liegt in der Nähe des Zusammenflusses von Rio Negro und Solimoes. Während einer früheren Dürreperiode 2010 waren die antiken Meißelungen zum ersten Mal entdeckt worden.
"Uraltes Zeitzeugnis"
Doch diesmal tauchten mehr Steinmeißelungen auf: Die meisten stellen menschliche Gesichter dar, rechteckig oder oval, mit lächelnder oder betrübter Mimik. "Sie drücken Emotionen und Gefühle aus, es handelt sich um ein uraltes Zeitzeugnis, aber sie haben auch etwas mit heutigen Kunstwerken gemeinsam", sagt der Archäologe Jaime de Santana Oliveira der Nachrichtenagentur Reuters.
Antiker Arbeitsplatz
Auch andere Spuren der Vergangenheit hat die Dürre freigelegt: Archäologe Oliveira hockt neben einer Stelle, an der sich glatte Rillen im Fels zeigen. Man nimmt an, dass sie entstanden, als die ersten Bewohnerinnen und Bewohner der Region dort ihre Pfeile und Speere schärften.
Zeugnisse der Vergangenheit
Archäologe Oliveira deutet auf einen eher mürrisch dreinblickenden "Stein-Smiley". Die Gravuren sind dem Experten zufolge eine archäologische Stätte von großer Bedeutung: "Sie sind prähistorisch oder vorkolonial. Wir können die Gravuren nicht genau datieren, aber wir glauben, dass sie etwa 1000 bis 2000 Jahre alt sind."
Ausnahmezustand am Amazonas
Seit Monaten herrscht im Amazonas-Regenwald eine Rekorddürre - mit verheerenden Folgen für Menschen und Umwelt. Die niedrigen Pegelstände der Flüsse, die teilweise nur noch Rinnsale sind, haben ein Massensterben von Fischen ausgelöst. Da Flüsse die Hauptverkehrswege in der Region sind, müssen Anwohnerinnen und Anwohner aus der Luft mit Lebensmitteln und Wasser versorgt werden.
Faszinierend - und beunruhigend
Das Auftauchen der Gravuren aufgrund der Dürre hat Forschende ebenso wie neugierige Besucherinnen und Besucher in Scharen angezogen. "Wir kommen, wir schauen uns die Gravuren an und finden sie faszinierend. Aber gleichzeitig ist es auch beunruhigend", sagt Besucherin Livia Ribeiro gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. "Ich frage mich, ob dieser Fluss in 50 oder 100 Jahren noch existieren wird."