Erst schwören, dann reden
22. März 2017"Staatsoberhaupt" ist ein anderes Wort für Bundespräsident. Es klingt mächtiger als der Gestaltungsspielraum seines Amtsinhabers tatsächlich ist. Frank-Walter Steinmeier, seit Sonntag Nachfolger von Joachim Gauck, ist nun Deutschlands höchster Repräsentant. Für das politische Tagesgeschäft sind aber Andere zuständig. Bundestag und Bundesrat beschließen Gesetze. Die Regierung führt sie aus. Und das Verfassungsgericht wacht darüber, dass alles im wahrsten Sinne des Wortes rechtens zugeht.
Gegenüber den drei klassischen Gewalten - Legislative, Exekutive, Judikative - nimmt der langjährige ehemalige Außenminister Steinmeier eine unabhängige Rolle ein. Qua Amt zur Überparteilichkeit verpflichtet, lässt er seine Mitgliedschaft in der Sozialdemokratischen Partei (SPD) ruhen. Neben dem mal mehr, mal weniger feierlichen Repräsentieren nach innen wie nach außen vertritt er Deutschland völkerrechtlich.
Acht Artikel des Grundgesetzes sind dem Bundespräsidenten gewidmet
Ohne Steinmeiers Unterschrift tritt kein Vertrag mit anderen Staaten in Kraft. Auch nationale Gesetze bedürfen formal seiner schriftlichen Zustimmung. Die vielfältigen Aufgaben des Bundespräsidenten sind in acht Artikeln des Grundgesetzes geregelt, darunter die Nummer 56. Dort findet sich jene Formel, die Steinmeier bei seiner Vereidigung im Plenarsaal des Bundestages sprechen wird:
"Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe."
Der Eid kann ausdrücklich auch ohne religiöse Formel geleistet werden. Steinmeier, Mitglied der Evangelischen Kirche, wird sie sicherlich sprechen. Er wird es in einer gemeinsamen Sitzung von Bundestag und Bundesrat tun. Mit diesem deklamatorischen Akt vor den Volksvertretern der Bundesrepublik Deutschland und seinen 16 Ländern wird die Amtsübernahme gewissermaßen symbolisch vollendet. Faktisch ist Steinmeier bereits seit Sonntag der erste Mann im Staat.
Bundesratspräsidentin Dreyer hält Steinmeier für ein "starkes Signal"
Bei seiner Vereidigung wird die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, ranghöchste Vertreterin der Länder sein. Die Sozialdemokratin ist seit November für ein Jahr Präsidentin des Bundesrates. Als Steinmeier am 12. Februar in der Bundesversammlung zum Nachfolger Gaucks gewählt wurde, sagte sie ein paar Worte, die so oder ähnlich auch im Rahmen seiner Vereidigung zu hören sein werden. Gerade in der heutigen, von außenpolitischen Unwägbarkeiten geprägten Zeit sei es ein starkes Signal, "dass mit Frank-Walter Steinmeier ein erfahrener und souveräner Außenpolitiker zum neuen Bundespräsidenten gewählt worden ist".
Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach von einer "Entscheidung aus Vernunft", als sie der Nominierung Steinmeiers zustimmte. Denn natürlich hätte die Christdemokratin gerne jemand aus den eigenen Reihen im protokollarisch höchsten Staatsamt gesehen. Ihr Favorit und CDU-Parteifreund Norbert Lammert, Präsident des Bundestages, lehnte jedoch ab. Pikanterweise wird er nun als Hausherr des deutschen Parlaments die 631 Abgeordneten und 69 Ländervertreter des Bundesrates anlässlich der Steinmeier-Vereidigung begrüßen.
Auch Vorgänger Gauck wird eine Rede halten
Vor der ersten öffentlichen Rede des neuen Bundespräsidenten nach seinem Amtsantritt wird Vorgänger Gauck das Wort ergreifen. Das größere Interesse gilt aber natürlich Steinmeier. Welche nationalen und internationalen Themen wird er ansprechen? Und wie wird er darüber reden? Wenn es um die Zukunft Europas geht nach dem Brexit Großbritanniens. Oder das angespannte Verhältnis Deutschlands zur Türkei und den USA. Nicht zu vergessen der Umgang mit Russland. Ein Thema, um das sich Steinmeier als Außenminister vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges besonders intensiv gekümmert hat.
Auch im Ausland wird man also genau hinschauen und zuhören, wenn Steinmeier das Wort ergreift. Die Menschen in Deutschland aber werden sich vor allem dafür interessieren, wie ihr neuer Präsident den gesellschaftlichen Zusammenhalt befördern will. Im September wird ein neuer Bundestag gewählt, in den höchstwahrscheinlich erstmals die Rechtspopulisten der Alternative für Deutschland (AfD) einziehen werden. Deren Aufstieg ist aufs Engste verknüpft mit dem großen Thema unserer Zeit: der weltweiten Flüchtlingskrise.
Es ist ein Thema, so viel lässt sich wohl jetzt schon sagen, das Steinmeier in seiner fünfjährigen Amtszeit immer wieder beschäftigen wird. Sein neues politisches Leben als Bundespräsident beginnt in turbulenten Zeiten. Es wird weniger hektisch sein als die Zeit im Auswärtigen Amt. Und trotzdem lastet eine große Verantwortung auf Steinmeiers Schultern, weil die Menschen von ihm Orientierungshilfe erwarten. Diese Aufgabe ist eine der wichtigsten, die das Staatsoberhaupt übernehmen muss. "Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben" - diese Stelle des von Steinmeier zu leistenden Eides passt wohl am besten dazu.