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"Lage in China erfüllt mich mit tiefer Sorge"

28. November 2022

Der Bundespräsident äußert sich im DW-Gespräch zu China und der Ukraine. Gespräche zum Waffenstillstand zwischen Kiew und Moskau seien derzeit wenig sinnvoll.

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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beim Interview mit der Deutschen Welle 2022
Frank-Walter Steinmeier beim Interview mit der Deutschen WelleBild: Liesa Johannssen/Bundesregierung

Exklusiv: Bundespräsident Steinmeier im DW-Interview

Frank-Walter Steinmeier reagiert mit Verständnis auf die Proteste der chinesischen Bevölkerung gegen die strikte Corona-Politik im Land. "Die Bilder, die uns aus Peking und mehreren chinesischen Städten erreichen, bewegen mich," sagt er im Interview mit der DW.  Auch in Deutschland habe der Kampf gegen die Pandemie sehr viele Menschen extrem mitgenommen. "Wir können nur erahnen, wie groß die Last für die Menschen in China ist, wo die Maßnahmen ja viel strikter, viel langanhaltender sind und bis heute reichen." 

"Peking muss die Meinungsfreiheit achten" 

Die Wut über die strikte Null-Covid-Politik in China hatte in den vergangenen Tagen zu landesweiten Protesten geführt. Auslöser war ein Wohnhausbrand mit zehn Toten am vergangenen Donnerstag in Urumqi in der nordwestchinesischen Region Xinjiang. "Als Demokrat kann ich nur sagen: Die Freiheit der Meinungsäußerung ist ein wichtiges Gut", sagt der Bundespräsident. "Und ich kann das, was wir sehen, nur mit der Hoffnung verbinden, dass die staatlichen Behörden in China dieses Recht der Meinungsäußerung, der Demonstrationsfreiheit achten."

Menschenmenge: Protest in Peking gegen die Null-Covid-Politik
Mit ihrer Geduld am Ende: Menschen protestieren in China gegen die harsche Anti-Corona-Politik der Regierung Bild: Michael Zhang/AFP/Getty Images

"Den Ukrainern drohen Not, Dunkelheit und Kälte"

Zum Krieg Russlands gegen die Ukraine sagt Steinmeier, er verurteile die jüngsten Angriffe Russlands auf Zivilisten und auf die Gas- und Stromversorgung in der Ukraine: "Ich glaube, das ist ein Teil der Kriegsstrategie, die wir hier sehen. Wir haben nicht nur einen brutalen Angriffskrieg, der militärisch geführt wird gegen die ukrainische Armee. Sondern wir haben -  und das wird sichtbarer, je näher wir dem Winter kommen -  einen brutalen Angriff auf kritische Infrastruktur und damit natürlich auf die Zivilbevölkerung." Steinmeier äußert sich tief besorgt über die Lage der Menschen im Kriegsgebiet: "Wir haben gesehen, was auf die Menschen in der Ukraine zukommen könnte: Not, Dunkelheit und Kälte".

"Waffenstillstandsgespräche würden jetzt Russlands Landraub absegnen"

Die Zeit für Gespräche über einen möglichen Waffenstillstand sieht der ehemalige deutsche Außenminister als noch nicht gegeben. "Alle Empfehlungen, jetzt einen Waffenstillstand zu machen, sind natürlich leichtfertig, weil ein Waffenstillstand zu diesem Zeitpunkt das absegnen würde, was an Unrecht schon stattgefunden hat. Ein Waffenstillstand jetzt würde bedeuten, dass Russland besetztes Gebiet für sich behält. Und damit die Grenzverletzungen, die Missachtung des Völkerechtes und der Landraub auch noch abgesegnet wird." 

In Cherson steht ein Mann vor den Trümmern eines Hauses, in dem sieben Menschen einem russischen Angriff zum Opfer fielen
In Cherson steht ein Mann vor den Trümmern eines Hauses, in dem sieben Menschen einem russischen Angriff zum Opfer fielenBild: Chris McGrath/Getty Images

Zurückhaltend äußert sich Steinmeier zu möglichen westlichen, auch deutschen Sicherheitsgarantien für die Ukraine, bevor die Regierung in Kiew überhaupt in mögliche Gespräche mit Moskau eintritt. "Aber wir sind jetzt noch in einem Stadium, bei dem wir nicht sagen können, wie genau solche Sicherheitsgarantien aussehen könnten." 

"Inzwischen herrscht in Kiew Dankbarkeit den Deutschen gegenüber"

Befragt zur deutschen Rolle im Ukraine-Konflikt sag" der Bundespräsident, dass die anfänglichen heftigen Irritationen zwischen deutschen Regierungs-Politikern und der ukrainischen Regierung beigelegt seien. Steinmeier selbst war zunächst im Frühjahr vor einem geplanten Besuch in Kiew von der dortigen Regierung ausgeladen worden, hatte den Besuch aber im Oktober nachgeholt. "Ich bin in der Ukraine gewesen, wie Sie wissen, und kann nur bestätigen, dass einerseits die Kritik an der deutschen Rüstungsunterstützung, die es gab, abgeebbt ist, dass es im Gegenteil heute sehr viel Dankbarkeit gibt." Vor allem die deutsche Unterstützung bei der Luftraumverteidigung in der Ukraine durch Deutschland sei sehr wichtig gewesen.

"Es darf nicht zur Anwendung von Nuklearwaffen kommen"   

Im Frühjahr war vor allem Steinmeier persönlich wegen seiner jahrelangen sehr guten Kontakte zu russischen Politikern in der Ukraine heftig kritisiert worden. Die russische Drohung, auch Nuklearwaffen einzusetzen, nannte Steinmeier jetzt unerträglich. "Sie widerspricht eigentlich all unseren historischen Erfahrungen. Und sie sind eine weitere Eskalation, die von Russland in diesem Krieg betrieben wird. Es darf nicht zur Anwendung von Nuklearwaffen kommen!" 

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Gespräch mit DW-Current-Politics-Leiterin Rosalia Romaniec im Schloß Bellevue in Berlin
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Gespräch mit DW-Current-Politics-Leiterin Rosalia Romaniec im Schloß Bellevue in BerlinBild: Nina Haase/DW

"Bin dem Deutschen Bundestag sehr dankbar"

Der Bundespräsident begrüßt im Gespräch mit der DW die Absicht des deutschen Bundestags, noch in dieser Woche den sogenannten Holodomor in der Ukraine anzuerkennen und als Völkermord zu bezeichnen.  Anfang der 1930er Jahre verhungerten in der Ukraine Millionen Menschen, weil die damalige Sowjetführung Lebensmittel systematisch verknappte und konfiszierte. Mit einer gemeinsamen Resolution wollen SPD, Union, Grüne und FDP das nun ändern. Steinmeier dazu: "Es war die bewusste Strategie in den Jahren 1932 und 1933 des Stalin-Regimes, Teile der Bevölkerung der damaligen Sowjetunion hungern zu lassen." Dafür, dass das Parlament das nun ändere, sei er, so Steinmeier wörtlich, "sehr, sehr dankbar." 

Menschen besuchen ein Denkmal für Holodomor-Opfer in Kiew
Gedenken an den Holodomor, die Hungerkrise der 1930er-Jahre, verursacht von der damaligen Sowjetführung, auch in KiewBild: Valentyn Ogirenko/REUTERS

EU-Beitrittsperspektive für Westbalkan-Länder stärken

Nach Ansicht Steinmeiers verändert der Krieg in der Ukraine auch die Perspektiven für die Länder des Westbalkans, was etwa einen möglichen Beitritt einzelner Länder auch in die EU angeht. Steinmeier reist diese Woche nach Nordmazedonien und Albanien. Gleich mehrere mögliche EU-Beitrittsländer der Region hatten zuletzt Befürchtungen geäußert, für die Europäische Union stehe nun eine mögliche Aufnahme der Ukraine im Zentrum. "Ich verstehe manche Ungeduld, aber die Reise nach Nordmazedonien und Albanien dient ja auch der Botschaft in die Region: Wenn die entsprechenden Fortschritte innerstaatlich erreicht werden, dann wird der Weg in Richtung Mitgliedschaft in der Europäischen Union auch überschaubarer werden."