Sternekoch versorgt Alltagshelden
27. März 2020In dem feinen, stilvoll eingerichteten Berliner Restaurant Tulus Lotrek zahlen Gäste für ein Menü 120 Euro aufwärts. Max Strohe gehört zu den gefragtesten Köchen der Republik, seinen Michelin-Stern hat er sich hart erarbeitet. Der Koch weiß, was er kann und will – und zieht es dann auch durch. Das zeigt sich auch in Zeiten der Corona-Krise: Innerhalb von wenigen Tagen stellte Max Strohe die beeindruckende Initiative Kochen für Helden auf die Beine.
DW: Ihr Restaurant "Tulus Lotrek" hat zu, doch Sie kochen weiter. Warum?
Max Strohe: Im 15-Minuten-Takt auf mein Handy zu starren und mich mit Corona-Meldungen überfluten zu lassen, ist nicht mein Ding. Ich will was machen – und da liegt es nahe, dass ich das tue, was ich am besten kann: kochen. Ich kann tatsächlich sonst nichts. In unserer Nachbarschaft hatten uns Arztpraxen und Pflegedienste erzählt, dass sie kaum noch Zeit hätten, sich um Mahlzeiten zu kümmern.
Da habe ich unseren Lieferanten um eine Spende gebeten und eine große Menge an sehr gutem Fleisch bekommen. Normalerweise wäre das als Filet auf dem Teller gelandet. Wir haben daraus eine Gulaschsuppe gekocht, weil wir so eine größere Menge produzieren konnten.
Gulaschsuppe und Eintöpfe: Kulinarisch wohl eher keine Herausforderung für einen Sternekoch?
Doch! Die Idee dahinter ist, dass das Mahlzeiten sind, die wärmen und gesund sind. Man kann sie in großen Mengen produzieren und auch solange erhitzen, bis mögliche Keime zerstört sind. Außerdem erinnert es mich daran, wie sich meine Oma um mich gekümmert hat, wenn ich krank war. Als Kind war ich sehr oft bei ihr und meine Oma hat immer mega geile Suppen und Eintöpfe gemacht. Dieses Essen ist für mich ein Sehnsuchtsort in Krisenzeiten. Eine mit Liebe und Dankbarkeit gekochte Suppe ist auch etwas emotional Wärmendes, was jeder brauchen kann, der gerade diese wahnsinnigen Arbeitsschichten durchsteht und sich auch noch einer Gefahr aussetzt. Das wärmt übrigens auch den Koch von innen.
Was steht heute auf der Helden-Speisekarte?
Das hängt immer von den Spenden ab. Gerade haben wir ganz viele Champignons gekriegt, daraus haben wir eine Pilzsuppe gemacht. Außerdem gibt es noch einen Bohneneintopf, Kalbsrahmgulasch, Gemüserahmsuppe, Kartoffelsuppe und Erbseneintopf. Wir kriegen von einer Zutat meist nicht genug für alle Portionen, deswegen sind es mehrere Gerichte. Derzeit liefern wir 800 Portionen täglich aus – damit stoßen wir an unsere Grenzen.
Von einer Ruhepause, wie viele den Lockdown derzeit erleben, kann bei Ihnen nicht die Rede sein...
Ich arbeite derzeit mehr als sonst, bis zu 15 Stunden am Tag. Ich muss aber auch zugeben, dass wir - meine Frau, die sonst die Restaurantleitung macht, und ich - uns damit auch selbst therapieren. Wir handeln also auch ein stückweit egoistisch, das heißt wir beschäftigen uns, damit wir uns nicht mit einem möglichen Katastrophenfall beschäftigen. Ich wüsste auch gar nicht, wie ich mental damit klar kommen sollte, wochenlang zu Hause zu sitzen.
Innerhalb von nur wenigen Tagen wurde aus Ihrer ersten Gulaschsuppe die Initiative "Kochen für Helden". Was steckt dahinter?
Auf unsere Aufrufe in den sozialen Medien nach helfenden Menschen, die gerne von bekocht werden würden, haben wir überwältigende Rückmeldungen bekommen. Über eine Internetseite haben sich uns schon mehr als 30 Restaurants in ganz Deutschland angeschlossen, unter anderem auch Fernsehkoch Tim Mälzer in Hamburg.
Hier in Berlin sind es zwölf Restaurants. Meine Frau und ich bringen die Anfragen von Stationen und Pflegediensten mit den Spitzenrestaurants zusammen. Für die Lieferung, die so kontaktarm wie möglich abläuft, haben wir einen Fahrer. Außerdem haben wir eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, damit wir auch dann noch kochen können, wenn der Überschuss an Lebensmitteln aufgebraucht ist und die Spenden weniger werden.
Wie stellen Sie sicher, dass sich niemand in Ihrem Team ansteckt?
Wir reinigen und desinfizieren stetig die Plastikbehälter, in denen wir das Essen liefern. Wir haben eigene Lieferscheine erstellt und geben Empfehlungen, das Essen noch einmal zehn Minuten lang bei mindestens 80 Grad aufzukochen. Wir kochen mit Handschuhen und waschen uns wirklich oft die Hände – bald werden wir eine richtig gute Creme brauchen. In der Küche arbeiten wir immer im gleichen Zwei-Mann-Team – wir lassen sonst niemanden mehr rein. Die das mit uns angefangen haben, die müssen es jetzt auch mit uns zu Ende bringen (lacht). Wir haben keinen Dienstplan oder Schichtwechsel, wir machen weiter, solange wir Power haben.
"Kochen für Helden" ist ein Ehrenamt-Projekt. Machen Sie sich keine Sorgen um Ihr Restaurant?
Natürlich denken wir darüber nach, aber wir blenden das soweit wie möglich aus. Ich glaube, dass es jetzt Wichtigeres gibt, als über einen möglichen bevorstehenden Ruin nachzudenken. Wir müssen erst einmal das Virus eindämmen. Solange unsere Glühbirnen an sind und das Gas läuft... Unser Vermieter hat uns aufgrund unseres Engagements für die nächsten drei Monate von der Miete befreit. Für unsere zehn Mitarbeiter haben wir Kurzarbeit angemeldet. Außerdem haben wir ganz gut gewirtschaftet und gute Rücklagen. Eigentlich wollten wir uns im Sommer erstmalig eine vierwöchige Pause gönnen – dieser Puffer ist jetzt natürlich bereits aufgebraucht.
Das Interview führte Nadine Wojcik.