Stuttgart 21
1. Oktober 2010"Stuttgart 21" ist Teil eines umfassenden Ausbaukonzeptes für den öffentlichen Schienenverkehr in Baden-Württemberg. Das Vorhaben ist das größte aktuelle Infrastrukturprojekt Deutschlands. An der Planung und Finanzierung sind neben der Deutschen Bahn auch die Bundesrepublik Deutschland, das Land Baden-Württemberg, die Region und die Landeshauptstadt Stuttgart beteiligt.
Zum einen geht es bei den geplanten Streckenmodernisierungen und Neubaumaßnahmen, etwa der neuen Trassenführung nach Ulm, um die bessere Anbindung an den transeuropäischen Fernverkehr: Die von der Europäischen Kommission geplante Hochgeschwindigkeitsstrecke "Magistrale für Europa" zwischen Paris und Bratislava beziehungsweise Budapest soll Ost- und Westeuropa wirtschaftlich und kulturell enger zusammenwachsen lassen.
Den Bürgern Baden-Württembergs und den Einwohnern der Landeshauptstadt verspricht das Konzept "Stuttgart 21" kürzere Fahrtzeiten, bessere Zuganschlussverbindungen und weniger Verspätungen im Fern- und Regionalverkehr - besonders der Flughafen Stuttgart soll künftig viel schneller zu erreichen sein.
Rund 60 Kilometer neuer Bahnstrecke, 3 neue Bahnhöfe, 18 Brücken und 16 Tunnel von teilweise erheblicher Länge sollen bis zum Jahr 2020 fertig gestellt werden.
Quergelegt in den Untergrund
Kernpunkt des Projektes und gleichzeitig auch am heftigsten umstritten ist der Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofes: Aus dem bislang 17-gleisigen oberirdischen Kopfbahnhof soll ein unterirdischer Durchgangsbahnhof mit nur noch 8 Gleisen werden.
Die neue Anlage wird gegenüber der bisherigen Gleisführung um 90 Grad gedreht sein. Das bislang notwendige Wenden der Züge entfällt bei diesem Konzept ebenso wie die komplizierte Wegführung der ein- und ausfahrenden Zuglinien in die verschiedenen Richtungen; die Bahn verspricht sich insgesamt eine deutlich erhöhte Verkehrskapazität trotz der geringeren Gleisanzahl.
Alte und neue Architektur
Obwohl die neue Anlage also unterirdisch entstehen soll, die Drehung der Gleisrichtung hat auch über Tage Konsequenzen: Der aus den 1920er-Jahren stammende, kulturhistorisch bedeutsame Bahnhofsbau der Architekten Paul Bonatz und Friedrich Eugen Scholer bleibt nur zum Teil erhalten. Während das Empfangsgebäude und der markante Turm auch weiterhin die sichtbare Visitenkarte des Bahnhofs sein werden, sind die beiden Seitenflügel - trotz aller Proteste - mittlerweile abgerissen worden. Weichen müssen dem Neubau auch fast 300 alte Bäume im angrenzenden historischen Schlossgarten, die Parkanlage soll dafür an anderer Stelle mit umfangreichen Neuanpflanzungen wieder erweitert werden.
Tunnel mit Gucklöchern
Der neue Bahnhofsbau nach Plänen des Architekten Christoph Ingenhofen liegt zwar etwa 11 Meter unter der Erde, hält aber mit sogenannten Lichtaugen Kontakt nach oben. Die gläsernen Gucklöcher lassen Tageslicht einfallen, auf dem mit Rasen und Sträuchern begrünten Bahnhofsdach sollen die Stuttgarter dereinst flanieren und picknicken können. Den größten Gewinn aber sollen die Einwohner der Landeshauptstadt dort haben, wo jetzt noch die Züge fahren: Nachdem die oberirdischen Gleisanlagen nach der Fertigstellung des neuen Bahnhofs abgebaut sein werden, soll hier ein neuer Stadtteil entstehen - mit neuen öffentlichen Plätzen, Gebäuden, Kultur und Gastronomie mitten im Herzen Stuttgarts.
Teure Visionen
Der Erlös für die freiwerdenden Grundstücke ist allerdings auch schon eingerechnet in der Milliardenrechnung - die Kosten für "Stuttgart 21" werden auf vier Milliarden Euro veranschlagt, für die Strecke nach Ulm kommen noch einmal drei Milliarden hinzu. Wenn sich Befürchtungen über zu erwartende geologische Schwierigkeiten bestätigen sollten, kann das Projekt auch noch deutlich teurer werden - für Kritiker ist das Ganze ein überflüssiges Milliardengrab.
Autor: Michael Gessat
Redaktion: Kay-Alexander Scholz