Stille Atommacht China
4. Dezember 2003Die Aufregung ist groß. Der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder hat während seines nun jährlich stattfindenden Besuchs in China angeboten, die still gelegte Hanauer Plutonium-Fabrik zu verkaufen. Schröder will damit einem Wunsch des chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao nachkommen. Der grüne Koalitionspartner daheim hält das für "politisch unvernünftig", wie die grüne Parteichefin Angelika Beer erklärte. Es sei "schon widersinnig, wenn man auf der einen Seite entscheidet, dass Deutschland aus der Atomenergie ausscheidet und andererseits eine Anlage exportieren will, die übrigens auch die Fähigkeit hat, waffenfähiges Plutonium herzustellen". Auf die militärische Nutzung der Atomanlage ist China jedoch keineswegs angewiesen.
Die Logik der Mächtigen
Wie alle ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates ist auch China eine Atommacht. Schätzungen des "Institute for Science and International Security" zufolge, verfügt die Volksrepublik China über 400 Nuklearsprengköpfe und ein Gesamtmenge von vier Tonnen Plutonium (Stand 1999). Die erste chinesische Atombombe explodierte 1964, später als geplant aber dafür "Made in China". Ursprünglich wollten die damalige Sowjetunion beim Bau der Abschreckungswaffe helfen. Kreml-Chef Nikita Chruschtschow zog dieses Versprechen 1959 jedoch zurück. Seitdem sollen chinesische Atomwaffen ihren Hauptzweck der Abschreckung erfüllen.
Die Zahl der Atomwaffen ist seit Jahren unverändert, sagt Xanthe Hall von "Ärzte gegen den Atomkrieg". Die Investitionen flössen "in die Modernisierung der Trägersysteme, nicht in den Neubau von Bomben." Genaue Zahlen gibt es freilich nicht. "China verfügt über 30 bis 40 Interkontinentalraketen und 100 bis 120 mit Atomwaffen bestückten Mittelstreckenraketen", schätzt Sicherheitsexperte Xuewu Gu von der Universität Bochum. Dazu kämen ein oder zwei U-Boot-Systeme.
Im Gespräch mit DW-WORLD beschreibt Gu Chinas Atomwaffenpolitik als "Minimalstrategie". Mitte der 1990er-Jahre hatte China mit der GUS und den USA vereinbart, keine Atomwaffen mehr aufeinander zu richten. Der Fokus ist seit dem Ende des Krieges ein anderer geworden. "Die Waffen sollen die asiatische Region stabil halten", sagt Hall. Schließlich gäbe es das Problem zwischen Indien und Pakistan und den Taiwan-Konflikt. Eine Rolle spiele aber auch, dass die USA China in ihrer Atomwaffendoktrin noch immer als militärischen Feind betrachteten. Vor diesem Hintergrund sei mit einer Abkehr Chinas vom Atomwaffenprogramm nicht zu rechnen. Insgesamt seien die Informationen aus Peking aber eher dürftig und lückenhaft.
"Massenvernichtungswaffen helfen dem Frieden nicht"
Am Mittwoch (3.12.2003) hat China eine neue Strategie gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen vorgestellt. In dem Dokument heißt es, "die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen trage nicht zum Weltfrieden oder zu Chinas Sicherheit bei". Diese Erklärung ist insofern interessant, als dass die USA in der Vergangenheit immer wieder kritisierten, China liefere Pakistan militärische Unterstützung und habe Islamabad beim Aufbau eines Atomwaffenprogramms geholfen. Das Ziel Chinas war, den historischen Verbündeten Pakistan stark gegenüber Indien zu machen, das ebenfalls zum mächtigen und exklusiven Klub der Atommächte aufsteigen will. "China ist es wohl bewusst geworden, dass es gefährlich ist, Atommächte vor der eigenen Haustür zu haben", kommentiert Asienexperte Gu die Neuausrichtung Chinas.
Atomenergie – ja bitte!
China betreibe derzeit drei oder vier Atomkraftwerke zur Energiegewinnung, schätzt Gu. Das Interesse an der zivilen Nutzung von Kernenergie sei in China sehr hoch, über die ökologischen Folgen mache man sich kaum Gedanken. Die Technologie wird als sauber und zukunftsorientiert eingestuft. "Das Interesse an Hanau ist rein kommerzieller Natur", sagt Gu. "Die Chinesen wollen schnell an moderne Technik kommen." In diesem Kontext paßt die Ankündigung aus Peking, in Pakistan ein zweites Atomkraftwerk bauen zu wollen. Damit sollen Energieprobleme überwunden werden, berichtete die Nachrichtenagentur AP am 3.12.2003 in Berufung auf Regierungskreise in Islamabad.