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Stille Trauer um einen Engel

Sabrina Pabst3. Dezember 2014

1500 Menschen begleiten Tugce auf ihrem letzten Weg. Mit ihren Tränen würdigen sie eine Heldin, die keine Heldin sein wollte, sondern menschlich gehandelt hat. Aus Wächtersbach: Sabrina Pabst.

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Auf Tugces Grab steht ein Holzschild mit ihrem Namen und dem Todesdatum (Foto: Reuters)
Bild: Reuters//Ralph Orlowski

"Tugce hat mir gezeigt, jemanden zu lieben, den man nicht mal ansatzweise kennt", sagt die junge Frau mit schwarzem lockigen Haar, das aus ihrem locker sitzenden Kopftuch hervorguckt. Mit weißen Rosen im Arm läuft sie durch das stille Industriegebiet in Wächtersbach. "Ich liebe Tugce, obwohl ich sie nicht kenne." Mit einem schüchternen Lächeln schließt sie den obersten Knopf ihres schwarzen Wintermantels. Erst dann ist eine schwarz-weiße Fotokopie von Tugce Albayrak zu erkennen, die sie an ihren Mantel geheftet hat. Das offene und strahlende Gesicht der jungen Frau auf dem Foto fällt sofort auf. Darunter das Datum ihres Geburtstags mit einer schwarzen Schlaufe.

"Persönlich habe ich sie nicht gekannt. Ich finde es einfach respektvoll, wenn man Tugce für ihre Taten einen würdevollen Abschied schenkt", sagt ein junger Mann der Deutschen Welle. Auch er hat das Foto auf seine Brust geheftet. "Eine Schlägerei unter Jungs, die gibt es oft. Aber dass eine junge Frau niedergeschlagen wurde...", ohne den Satz zu beenden geht er kopfschüttelnd weiter.

"Überwältigende Anteilnahme"

Es ist kalt am Mittwochmorgen (03.12.2014). Nur langsam füllt sich der Platz vor der gelb-grauen Moschee des Türkisch-Islamischen Kulturvereins (Ditib) im beschaulichen hessischen Wächtersbach. Das Gebäude liegt unscheinbar zwischen einem Messegelände und riesigen Firmengebäuden. Eine nüchterne und trostlose Umgebung. Die Durchfahrtsstraße ist voller Menschen. "Wir wollen ihr die letzte Ehre erweisen und stehen hier für alle Menschen, die Zivilcourage leisten", sagt eine ältere Dame. Sie ist in dem Dorf aufgewachsen. So eine überwältigende Anteilnahme habe sie bisher noch nicht erlebt. "Tugce bewegt die Menschen hier. Ihr Schicksal ist unbegreiflich."

Nicht nur die Menschen in Wächtersbach verfolgen den letzten Weg von Tugce aufmerksam. Englischsprachige, türkische und viele deutsche Fernsehsender drängeln sich auf einer kleinen Brücke, von der aus das Moscheegelände, auf dem das Trauergebet stattfindet, gut einsehbar ist.

Ein Reporter berichtet von der Beerdigung Tugces (Foto: Sabrina Pabst)
Auch das türkische Fernsehen berichtet von Tugces TrauerfeierBild: DW/S. Pabst

Dort ist Tugce nach dem Mittagsgebet aufgebahrt. Durch riesige Lautsprecher schallen die Koranverse des Imam - auf Arabisch und in deutscher Übersetzung. Der Sarg steht auf einem hohen Marmortisch. Ein grün-gelbes Tuch deckt ihn ab. Daneben sind die türkische und deutsche Nationalflagge gehisst. Um den Sarg herum sind hunderte Menschen versammelt - Familie, Gemeindemitglieder, Freunde, Weggefährten. Auch Prominenz ist vertreten: Der türkische Botschafter aus Berlin, Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier - doch Nationalität oder Prominenz interessiert hier niemanden.

"Ihr Tod hat viele Menschen bewegt"

"Tugce hat extrem vorbildlich gehandelt. Wie sie sich verhalten hat - das hätte sich nicht jeder getraut, besonders als junge Frau." Dem Mädchen steigen Tränen in die Augen. Sie möchte nicht missverstanden werden, betont sie, denn Tugce hat ihren Tod nicht verdient. "Aber wenn sie weiter im Koma gelegen hätte, dann wäre sie nur das tapfere Mädchen gewesen. Ihr Tod hat einfach jeden bewegt. Sie war ein junges Mädchen, das einfach nur helfen wollte." Sie habe Tugce flüchtig gekannt - über Freunde fügt sie hinzu. Ihre Begleiterin ist still. "Sie hat Zivilcourage gezeigt. Sie hat gezeigt, was man alles machen kann - auch wenn man alleine ist. Man sollte nicht einfach wegschauen, man sollte schon dazwischen gehen oder sich jemanden dazu holen, der mithilft."

Nach dem Trauergebet an der Moschee fährt ein Konvoi mit zehn überfüllten Bussen zum nahegelegenen Fiedhof in Bad Soden-Salmünster, Tugces Geburtsort. Hier wird sie ihre letzte Ruhe finden. In dem Bus herrscht betretendes Schweigen. Familie, Freunde, Mitschüler, Schaulustige - alle sitzen zusammen, keiner spricht. Eine Frau kämpft mit den Tränen und schüttelt den Kopf. Traurig blickt sie auf. "Tugce war ein ruhiges, liebes junges Mädchen, voller Leben." Sie selber kommt aus Bosnien. "Ich kenne den Krieg und weiß, was es heißt, geliebte Menschen zu verlieren", sagt die Frau mit zitternder Stimme. Aber dass so etwas Brutales in Deutschland passiere, damit habe keiner gerechnet. Sie hat Tugce gekannt, sehr gut und über Jahre. Ihre Tochter war Tugces beste Freundin. Sie war an dem Abend auf dem Parkplatz dabei, als Tugce angegriffen wurde. Ihre Tochter stehe bis heute unter Schock und möchte auch nicht darüber sprechen.

Tugces Sarg wird durch die Menschenmenge getragen (Foto: Sabrina Pabst/DW)
1500 Menschen begleiten Tugce auf ihrem letzten WegBild: DW/S. Pabst

"Wir stehen unter Schock"

Auf dem Friedhof versammelt sich nur Tugces Familie um ihr Grab. Es wird ruhig. Eine ergreifende Stimmung herrscht. Als der Sarg durch die Menge getragen wird, hört man vereinzeltes Schluchzen. Öffentlichkeit ist hier nicht erwünscht. Die Familie möchte im Stillen trauern und Abschied nehmen - nach islamischem Ritual. Und ihre Privatsphäre wird ihr hier gewährt.

In der Dämmerung, nach der Beisetzung, ist der Friedhof still. Immer wieder kommen kleine Menschengruppen, die das Grab von Tugce besuchen, Blumen niederlegen, im Gedenken verharren. Ein Mann mit dicker Strickmütze erzählt, er sei extra aus Frankfurt gekommen. Was der jungen Frau passiert ist, erschüttert auch ihn. An der Mahnwache vor dem Offenbacher Krankenhaus, in dem Tugce behandelt wurde, habe er auch teilgenommen. Hierhinzukommen sei für ihn selbstverständlich. Tugce habe Zivilcourage bewiesen, aber die Gewalt an ihr sei für ihn unbegreiflich. "Frauen und Kinder dürfen nicht geschlagen werden. Der Täter hat eine Grenze überschritten und muss bestraft werden."

Auf Tugces Grab liegen Blumen (Foto: Reuters)
Die Menschen zeigen ihre Anteilnahme und Trauer mit Blumen und KränzenBild: Reuters//Ralph Orlowski

Auf Tugces Grab liegt ein Meer aus Blumen. Auf einem weißen T-Shirt, das auf dem Grab liegt, steht: "Du bist ein Engel, der Mut gezeigt hat". Das Kerzenlicht flackert. Tugce war beliebt, jung, talentiert, integriert. Sie wollte Lehrerin werden. Vor einer Klasse hat sie nie gestanden, aber sie hat auf ihre Weise vielen Menschen gezeigt, was es heißt, vorbildlich zu handeln.