Stirbt die Literatur im Arm des Ehrl-Königs?
2. Juni 2002Das Spiel mit verschiedenen Ebenen beherrscht Martin Walser perfekt. Sein jüngster Roman Tod eines Kritikers hat den Charakter einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Der Streit um das lediglich als Manuskript vorliegende Buch wird bereits zu einer neuen Walser-Debatte hochgeschrieben.
Persiflage des Realen?
Der Streit hat etwas Groteskes: Vieles von dem, was nun durch die Feuilletons geistert, hat Walser in dem Roman selbst beschrieben. Die Frage steht im Raum, ob das Buch antisemitische Untertöne hat - und sie ist im Roman genau so angelegt. Im Kern ist der Roman eine persönliche Abrechnung des Autors mit einem prominenten Literaturkritiker. Walser bestätigt gern, dass Marcel Reich-Ranicki ihm als Vorbild diente, und verbindet dies immer mit dem Hinweis auf die Freiheit des Autors zur Verfremdung und Persiflage.
"Juden-Mord" als "Saison-Thema"
Debattenträchtig ist bei Walsers neuem Roman aber dieTatsache, dass der fiktive Literaturkritiker extrem unsympathisch dargestellt ist, einem Mord durch einen beleidigten Schriftsteller zum Opfer gefallen sein soll - und zugleich jüdischer Herkunft ist. Walser wird nun vorgeworfen, er habe nicht über den - vermeintlichen - Mord eines unliebsamen Literaturkritikers geschrieben, sondern über den Mord an einem Juden.
So stand es in der ersten öffentlichen Kritik des Werks in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Aber so steht es auch schon in Walsers Roman-Manuskript: Dort gerät der fiktive, des Mordes verdächtigte Autor ebenfalls unter Antisemitismus-Verdacht: "Das Thema war jetzt, daß Hans Lach einen Juden getötet hatte." Und wenig später heißt es vorgreifend-doppelsinnig: "Erst jetzt hatten die Medien ihr Saisonthema gefunden."
Für Spitzfindige: Es wimmelt von Anspielungen
Jeder, der das Milieu des Romans zu kennen meint, kann das Spiel mitspielen und sich als Detektiv betätigen. Figuren sind zu identifizieren, Details aus dem wahren Leben zuzuordnen. Wer sich am Egozentrismus Reich-Ranickis reibt, wird seine Freude an der Charakterisierung dessen literarischen Alter Egos haben. "So oft er Ehrl-König begegnet sei,und seis im ICE-Speisewagen, jedesmal habe Ehrl-König ihn damit begrüßt, daß Silbenfuchs ihn immer noch nicht zum Honorarprofessor der Ludwig-Maximilians-Universität vorgeschlagen habe", sagt ein Kollege im Roman über den begnadeten Selbstdarsteller.
Der Roman wimmelt nur so vor Anspielungen und regt insofern die Fantasie des Lesers an. Trägt Ehrl-König seinen Namen, weil in seinem Arm die Literatur stirbt wie ein todkrankes Kind? Verbergen sich hinter dem asexuell-inzestuösen Geschwisterpaar Henkel nicht die Eheleute Walter und Inge Jens und hinter dem Hof haltenden Verleger Ludwig Pilgrim der Suhrkamp-Chef Siegfried Unseld? - auch wenn Walser Letzteres im Spiegel-Interview am Wochenende bestritt. Aus Reich-Ranickis "Literarischem Quartett" ist im Roman "Die Sprechstunde" geworden - in der der reale jüdische Autor Philip Roth besprochen wird und als Gast eine Martha Friday erscheint, deren Name an die ebenfalls jüdische Autorin Susan Sontag erinnert.
Verquaste Sprache
So amüsant das mehrbödige Verwirrspiel ist, so ermüdend ist die teils verquaste, teils zotige Sprache des Romans. So erstreckt sich über mehrere Seiten hin der Monolog eines Psychopathen, dessen Bedeutung für die Handlung des Romans unklar bleibt. Auch die Nachahmung des Reich-Ranicki-Akzents ist auf Dauer nicht originell, zumal der häufige Gebrauch des Umlauts oi unangenehm an die Sprache Rechtsextremer erinnert. "Denken Sie nur an den Ehrl-König-Sound, wenn er über doitsche Sscheriftstellerrr spericht und über die Sperache, die sie schereiben und wie scherecklich es ist, sein Lebengeweiht zu haben einer Literatür, die zu mehr als noinzig Perozent langweilig ist."
Tod eines Kritikers ist sprachlich wie inhaltlich eines der schlechteren Bücher, die Walser geschrieben hat.