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"Unzutreffende Wahrnehmung"

Dang Yuan1. Dezember 2015

Der deutsche Menschenrechtsbeauftragte Christoph Strässer spricht im DW-Interview über den Fall Gao Yu, den Menschenrechtsdialog mit Peking und seine Eindrücke in Tibet.

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Christoph Strässer, Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe. (Foto: picture-alliance/dpa/D. Naupold)
Bild: picture-alliance/dpa/D. Naupold

Deutsche Welle: Die ehemalige DW-Journalistin Gao Yu darf die Haft außerhalb des Gefängnisses absitzen. War der Prozess rechtsstaatlich?

Christoph Strässer: Nach unseren Wahrnehmungen ist das nicht der Fall. Wir haben immer über die deutsche Botschaft in Peking versucht, den Prozess zu beobachten. Wir haben von einem Geständnis Gaos gehört, das später widerrufen worden ist. Das Berufungsverfahren in der letzten Woche war nicht einmal öffentlich. Nach unseren Standards - das sind Standards, die nicht alleine die Bundesrepublik Deutschland betreffen, sondern alle Staaten der Welt - war es kein rechtsstaatliches Verfahren.

(Archivfoto) Haftverschonung für die ehemalige DW-Journalistin Gao Yu. (Foto: DW)
(Archivfoto) Haftverschonung für die ehemalige DW-Journalistin Gao YuBild: DW

Die Bundesregierung und auch andere westliche Regierungen haben sich wiederholt für die Entlassung Gao Yus eingesetzt. Auch die Deutsche Welle hat ausführlich über den Fall berichtet. Glauben Sie, dass die internationale Aufmerksamkeit durch Regierungen und freie Medien Gao Yu geholfen hat?

Im Ergebnis, ja. Es ist jetzt schwer, konkret festzustellen, welche Umstände zur Haftverschonung geführt haben. Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, dass es allein aus humanitärem Grund wichtig ist, dass Gao Yu eine ausreichende medizinische Versorgung bekommt. Sie hatte ja im Oktober noch einen Herzinfarkt. Ich denke schon, dass dieses Insistieren, nicht nur das Laute und Öffentliche, sondern auch das über über diplomatische Kanäle, ihr letztendlich geholfen hat.

Wenn Sie als Bundesbeauftragter für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe Ihren Gesprächspartner in China auf konkrete Menschenrechtsverletzungen in China hinweisen, ist das eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Chinas, wie Ihr Gesprächspartner in Peking kritisiert?

Nein. Das ist aus meiner Sicht eine unzutreffende Wahrnehmung der Realität.

Wenn wir Einzelfälle ansprechen, dann immer nur auf der Grundlage der internationalen Vereinbarung über die Rechtsstaatlichkeit von Verfahren und über die Einhaltung von Standards. Wenn im Raum steht, dass beispielsweise das Recht auf freie Meinungsäußerung und freie Presse in Frage stehen, dann ist das keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes.

Das müssen wir tun aufgrund unserer internationalen Verpflichtungen, die im Wesentlichen auch die Volksrepublik China ratifiziert hat.

Protest in Hongkong gegen die Unterdrückung der Rechtsanwäte in China im Juli 2015. (Foto: EPA)
Protest in Hongkong gegen die Unterdrückung der Rechtsanwäte in China im Juli 2015Bild: Getty Images/J. Favre

Macht bei dieser ablehnenden Haltung durch die chinesische Regierung ein Menschenrechtsdialog zwischen Deutschland und China noch Sinn?

Gerade dann macht der Dialog Sinn. Man kann es an vielen Punkten deutlich machen. Wir haben in China öffentliche Statements gemacht. Wir haben zum zweiten Mal auch in Peking eine Pressekonferenz im Anschluss an den Menschenrechtsdialog durchgeführt. Alle diese Fragen wurden vor deutschen und chinesischen Journalisten öffentlich gemacht.

Wenn man diesen Dialog wirklich beenden würde, wüsste ich keine andere Gesprächsform, die in irgendeiner Art und Weise auch der chinesischen Seite deutlich macht, dass uns die Einhaltung der Menschenrechte, auch der bürgerlichen und politischen Rechte, sehr ernst ist.

Protestaktion der Exiltibeter in London beim Besuch des chinesischen Präsident Xi Jinping im Oktober 2015. (Foto: picture alliance)
Protestaktion der Exiltibeter in London beim Besuch des chinesischen Präsident Xi Jinping im Oktober 2015Bild: picture alliance/ZUMAPRESS.com/S. Chung

Wäre es nicht effektiver, wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrem Amtskollegen, dem chinesischen Ministerpräsident Li Keqiang, direkt die Fälle besprechen würde?

Ich gehe davon aus, dass sie das tut. Ich bin bei diesen Gesprächen nicht dabei. Aber so viel ich weiß, sowohl von den Vorbereitungen der Delegationen der Bundeskanzlerin und des Bundesaußenministers als auch von den Berichten, die ich bekomme, passiert es ständig. Und deshalb macht es Sinn, diese Gesprächsdiplomatie fortzusetzen.

Deutschland und China sind jetzt strategische Partner in allen Bereichen, allen voran Wirtschaft, Handel und Innovation. Dürfen sich enge Partner öffentlich kritisieren?

Das ist eine Grundlage für eine gute Partnerschaft. Wenn man so gut befreundet ist, dass es keine Probleme miteinander gibt, braucht man einen Dialog auf einer ganz anderen Ebene. Aber die Chinesen wissen es und sagen es ganz deutlich, dass es Differenzen gibt und dass diese Differenzen an bestimmter Stelle - und gerade, was die Universalität der Menschenrechte angeht - auch gravierend sind. Und deswegen muss man es unter guten Partnern auch immer wieder ansprechen. Das ist ein Teil des Dialogs mit einem guten Partner.

Sie haben in China die "Rückschritte" der Menschenrechtssituation kritisiert. Warum?

In diesem Jahr gab es einige Maßnahmen, die unter der Überschrift "Sicherheit und Kontrolle" stehen. Zum Beispiel wurden im Sommer 2015 mehr als 300 Rechtsanwälte und ihre Mitarbeiter festgenommen, die sich für die Menschen- und Bürgerrechte eingesetzt haben. Von ihnen sind immer noch 30 inhaftiert.

Auf die Nachfrage, was geschehen sei und was ihnen vorgeworfen werde, kam auch im Dialog nur die lapidare Antwort, es handele sich um eine "kriminelle Bande". Auf die Nachfrage, was zu dieser Einschätzung geführt habe, kam keine Antwort.

Das ist für uns, und ich glaube auch für alle, die die Situation in China beobachten, eine neue Dimension. Wir haben auch dem Partner das klargemacht. Das war uns sehr wichtig.

Sie waren diesmal auch in Tibet. Glauben Sie, dass die Tibeter dort ihre Religion und Sprache frei leben können, auch wenn das Foto ihres geistlichen Oberhaupts, des Dalai Lama, verboten ist?

Das, was wir dort wahrgenommen haben, ist sicherlich nur ein kleiner Teil der Wirklichkeit in dieser Region. Das ist auch ein anderer Eindruck aufgrund der seit vielen Jahrzehnten in Deutschland geführten Diskussion, dass die Anhänger des Dalai Lama nicht frei in der Ausübung ihrer Religion sind, weil der Dalai Lama in China als jemand gilt, der angeblich eine "staatliche Eigenständigkeit" der Region Tibets anstrebt. Seine Anhänger stehen ständig in der Gefahr, dass ihre Rechte aufgrund der Zugehörigkeit verletzt werden. Das führt im Übrigen auch immer zu Verhaftungen und zu sehr unangenehmen Situationen für diese Menschen.

Ist das keine klare Verletzung der Religionsfreiheit?

Das ist aus unserer Sicht eine realistische Einschätzung der Situation. Nur, man muss zur Kenntnis nehmen, dass wir nur durch einen beharrlichen Dialog erreichen, dass die chinesische Regierung den Dalai Lama als jemand ansieht, der das Land nicht spalten will. Wir müssen immer wieder darauf hinweisen, dass der Dalai Lama auch in unserer Region, wenn er nach Deutschland kommt, als religiöser Führer angesehen wird, der den Friedensnobelpreis erhalten hat, und nach den Äußerungen von ihm, die wir kennen, alles andere im Sinne hat, als eine komplette Loslösung Tibets aus dem Verbund der Volksrepublik China.

Das Interview führte Dang Yuan.