Strafgerichtshof verfolgt Rebellen in Uganda
7. Oktober 2005Die Ermittlungen des Anklägers Luis Moreno Ocampo betreffen mehrere Mitglieder der "Widerstandsarmee des Herrn" (LRA). Das teilte ein Sprecher des Gerichts am Donnerstag (6.10.2005) mit. Die LRA ist seit fast 20 Jahren im Norden Ugandas aktiv und rekrutiert sich vor allem aus Kindern, die zum Kampf gezwungen oder als Sexsklaven gehalten werden.
Bevölkerung flieht vor Rebellen
Mehr als 20.000 Menschen sollen zu diesem Zweck verschleppt worden sein. Fast zwei Millionen Menschen in Uganda waren dazu gezwungen, aus Angst vor Entführungen ihre Wohnorte zu verlassen.
Die LRA entstand, als der ugandische Präsident Tito Okello, der aus der nördlichen Region Acholi stammte, durch einen Putsch im Januar 1986 die Macht verlor. Die Bürger Acholis fürchteten, den lange etablierten Einfluss auf die Staatsregierung zu verlieren, und begannen einen Aufstand gegen die Staatsmacht.
Kony als religiöser Heilsbringer
Schon früh entwickelte sich Joseph Kony zum Anführer der LRA. Er sieht sich als "geistliches Medium" und möchte auf der Grundlage seiner fanatischen Auslegung des Christentums einen neuen Staat gründen. Kony gehört zu den Personen, die der Gerichtshof in Den Haag jetzt mit seinen Haftbefehlen sucht.
Über einen Zeitraum von fast zehn Jahren widersetzte sich die regionale Rebellengruppe erfolgreich den massiven Militäraktionen der ugandischen Regierung. Mitte der 90er Jahre weitete sie ihre Aktivitäten auf die Zivilbevölkerung aus, die sich nach Überzeugung der Rebellen auf die Seite der Regierung gestellt hatte.
Kinder und Jugendliche verschleppt
Mit militärischer Unterstützung aus dem Sudan erstarkte die LRA und löste ihr Nachwuchsproblem durch unzählige Verschleppungen von Kindern und Jugendlichen. Dies führte zu einem Dilemma für die ugandische Regierung: Von diesem Zeitpunkt an waren die Mitglieder der LRA zumeist nicht nur Täter brutaler Gewalttaten, sondern auch Opfer von Entführungen und somit auf gewisse Weise schutzwürdig.
Unter dem Eindruck neuer Offensiven wandte sich Präsident Yoweri Museveni im Dezember 2003 an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Der Strafgerichtshof, der auch Taten im Kongo und im Sudan verfolgt, war ein Jahr zuvor durch die gemeinsame Initiative von fast 100 Ländern gegründet worden.
Gerichtshof ermittelt an Stelle nationaler Gerichte
Der Gerichtshof wird auf Antrag eines der Unterzeichnerstaaten oder des UN-Sicherheitsrats tätig. Er ermittelt an Stelle der nationalen Gerichte und kann Strafen für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Kriegsverbrechen aussprechen.
Nicht wenige Beobachter kritisierten den Vorstoß des Präsidenten. Es wird befürchtet, dass der Friedensprozess durch die Eröffnung eines Strafverfahrens jegliche Perspektive verliert. Die LRA signalisierte, dass erfolgreiche Verhandlungen während eines laufenden Strafverfahrens gegen führende Mitglieder der Armee nicht möglich seien. Zwischenzeitlich soll Museveni sogar versucht haben, seinen Antrag zurückzuziehen.
Rebellen erreichen Kongo
Indes gehen die Auseinandersetzungen im Norden Ugandas weiter. Erst am Dienstag (4.10.2005) griff die LRA ein ugandisches Dorf an und tötete mindestens vier Zivilisten. Zudem sind etwa 400 Kämpfer der Rebellen unter der Führung von Vincent Otti, dem einer der Haftbefehle gilt, in den Nordosten Kongos vorgedrungen. Schafft es das kongolesische Militär nicht, die Kämpfer zu entwaffnen, so will Ugandas Regierung eigene Truppen in das Nachbarland schicken – und würde damit eine Wiederholung des Krieges mit Kongo riskieren, der erst 2003 zu Ende gegangen war.
In dieser labilen Lage hält die Kritik an den Aktivitäten des Internationalen Strafgerichtshofs an. Der Friedensprozess sei durch die Haftbefehle "aufs Spiel gesetzt worden", sagte der katholische Erzbischof John Baptist Odama, der eine Initiative zur friedlichen Beilegung des Konflikts leitet.
Tatsächlich sucht die ugandische Armee schon seit Jahren den Führer der "Gottesarmee" - ohne jeden Erfolg. Daran wird auch die Existenz eines Haftbefehls aus Den Haag wenig ändern können, da der Gerichtshof über keinerlei eigene Kräfte verfügt, die den Haftbefehl durchsetzen können.
Regierung Ugandas ist optimistisch
Der ugandische Verteidigungsminister Amama Mbabazi gibt sich dennoch optimistisch. "Die ganze Welt wird jetzt nach Kony suchen", sagte er im Rahmen einer Pressekonferenz.
Hinter dieser Aussage verbirgt sich mehr als nur ein psychologischer Effekt. Nach den Statuten des Gerichtshofs sind die Vertragsstaaten verpflichtet, umfassend mit den Ermittlern aus Den Haag zusammenzuarbeiten - dies betrifft auch den Sudan und Kongo, die ebenfalls zu den Adressaten des Haftbefehls gehörten. Verteidigungsminister Mbabazi setzt auf seine Nachbarn: "Ich vertraue den Sudanesen, die offensichtlich Konys Aufenthaltsort kennen, dass sie den Haftbefehl ausführen werden."