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Straßentheater für die Armen

Insa Wrede16. April 2002

Sie hatten es satt, Theater nur für die Elite zu machen. So gründeten Luis Marqués und Claude Bowré Gnakouri ein Straßentheater in der Elfenbeinküste. Sie wollen aber nicht nur unterhalten, sondern vor allem informieren.

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Spielerisch wird das Volk über Probleme wie Aids aufgeklärtBild: http://www.africa-photo.com

Seit mehr als zehn Jahren ziehen Marqués und Gnakouri mit ihrem Straßentheater kreuz und quer durchs Land. Sie wollen nicht Theater um seiner selbst willen spielen, sondern das Theater benutzen, um auf medizinische, hygienische oder politische Probleme aufmerksam zu machen.

Da ungefähr die Hälfte der Einwohner Analphabeten sind, die Leute zu arm sind, um sich ein Radio zu kaufen und es auch keinen Strom und kein Fernsehen gibt, ist es schwierig, Informationen zu verbreiten. Sowohl Hilfsorganisationen als auch Regierungsbehörden heuern das Straßentheater von Marquès an. Sie sollen die Menschen darüber aufklären, wie man sich vor Aids schützt, wie man mit Malaria umgeht oder dass man in einigen Gebieten Wasser erst kochen muss, bevor man es trinkt. Wichtig ist den beiden vor allem, nicht in die Dörfer zu kommen und den Menschen zu erzählen, was sie tun und lassen sollen. Sie haben sich ein besseres Konzept ausgedacht.

Das Publikum spielt zu Ende

Lernen funktioniert einfach anders an der Elfenbeinküste. Hier erzählen nicht die Älteren den Jüngeren was sie tun sollen. Jeder fasst selber auf die heiße Herdplatte, verbrennt sich die Finger und ist danach vorsichtiger. Nach diesem Prinzip funktioniert auch das Straßentheater von Marquès und Gnakouri.

Sie holen die Realität auf die Bühne: Wenn der Vorhang aufgeht, beginnt ein Stück, das von den Problemen der Menschen handelt. Die Lösung wird aber nicht präsentiert. Mittendrin hört das Stück nämlich auf. Diejenigen aus dem Publikum, die wissen wie es weitergehen könnte, kommen auf die Bühne und spielen ihre Ideen. Da die Menschen selber auf die Problemlösungen kommen, sind sie eher bereit, ihr Leben entsprechend zu ändern.

Der Tanz der Krankheiten

Ebola Virus
Ebola VirusBild: AP

In einem Stück gegen Aids tanzen auf der Bühne Antikörper zur Trommelmusik. Krankheitserreger stürzen sich auf die Antikörper, die sich aber gegen Durchfall, Grippe und Malaria wehren können. Dann betritt der Aids-Virus ganz in schwarz mit schwarzer Augenmaske und rotem Schwanz die Bühne. Er springt den Führer der Antikörper an und klammert sich fest. Eine Viertelstunde schleppt der Antikörper den Aids-Virus mit sich herum, dann bricht er zusammen. Jetzt stürzen sich auch die anderen Krankheitserreger auf ihn. Noch während der Antikörper verreckt, werfen Schauspieler Kondome ins Publikum.

Nicht alles, was glänzt, ist Gold

Neben Krankheiten sind Sekten ein großes Problem in der Elfenbeinküste. Selbsternannte Propheten kommen in die Dörfer, beuten die Menschen systematisch aus und verdienen damit ein Vermögen, erzählt Marquès. Weil ihn das ärgert, haben er und sein Kompagnon ein "Unsichtbares Theater" entwickelt. So wollen sie den Menschen ihre Leichtgläubigkeit vor Augen führen und ihnen beibringen, dass nicht alles Gold ist was glänzt.

Das funktioniert so: Marquès und Gnakouri ziehen mit ihrer Theatergruppe unter der prächtigen Musik eines Chors in ein Dorf ein. Dort geben sie sich als Propheten aus. Nach der Predigt vollbringt der Prophet noch eine Handvoll "Wunder". Beispielsweise spielt ein Schauspieler einen Verrückten, der "zufällig" vorbeikommt und dann vom Propheten geheilt wird. Ein anderer Mann aus der Theatergruppe ist einer, der sich das Bein aus dem Hüftgelenk kugeln kann. Auch er ist ein "zufälliger Passant", der das Wunder der Heilung erfährt.

Auferstehung der Toten

Trommler mit Trommeln in Afrika
Trommeln und einfache aktustische Instrumente begleiten die AufführungenBild: http://www.africa-photo.com

Wenn die Dorfbevölkerung dann vor Begeisterung im Delirium Tremens ist, erzählt Marquès, kommt das Highlight. In der Nähe zieht ein Trauerzug mit einem in Bastmatten gewickelten Toten vorbei. Der Sektenführer gibt vor, die Nähe des Toten zu spüren und erteilt den Dörflern den Auftrag, den Trauerzug mit dem Toten herzuholen. Die rennen sofort los. Die anschließende Erweckung des Toten darf natürlich nicht zu schnell gehen – ein Toter braucht seine Zeit, sonst ist das nicht glaubwürdig. Nach einer Stunde Stöhnen und Wälzen steht dann endlich der Schauspieler von den Toten auf und das Dorf ist nicht mehr zu halten.

Bevor die Dorfbewohner ihr gesamtes Erspartes herbeitragen, werden sie aber von Marquès und seiner Truppe aufgeklärt, das alles nur Show war. Einige sind dann enttäuscht, andere lachen. Und es bleibt die Hoffnung, dass das Dorf das nächste Mal nicht jeden Schmu glaubt.