Streaming - das Erfolgsmodell der Zukunft?
3. Februar 2014Vor rund zwei Jahren stellte ein völlig unbekannter deutscher Musiker namens Marius Lauber unter dem Pseudonym "Roosevelt" einen Demotrack mit dem schönen Titel "Sea" ins Netz. Wenig später trat der Indie-Elektroniker dann in so angesagten Clubs wie dem "Berghain" in Berlin oder dem "Le Bain" in New York auf - und Musikkritiker prophezeiten ihm eine große Karriere.
"Ich habe das Stück bei YouTube hochgeladen, ohne dabei an eine Entdeckung zu denken. Aber das Record Label Greco-Roman ist darauf aufmerksam geworden, und wir haben uns getroffen", erzählt Lauber kurz nach der Veröffentlichung seines ersten Tracks Ende 2012 im Webradio bln.fm. "Ein Jahr später war alles unter Dach und Fach."
Roosevelts Erfolgsgeschichte ist kein Einzelfall: Streaming-Portale wie YouTube, Soundcloud, Spotify oder das kürzlich eröffnete Beats Music bieten Künstlern ganz neue Möglichkeiten, entdeckt zu werden. Diese Entwicklung macht der Musikindustrie schon längere Zeit Sorgen - sie gibt den Streaming-Portalen die Schuld an den hohen finanziellen Einbußen der Branche. In den vergangenen 15 Jahren sind die Verkaufszahlen um fast die Hälfte zurückgegangen.
Auf Talentsuche bei Twitter
Doch nicht alle sehen schwarz. Lyor Cohen war früher Chef des HipHop-Labels Def Jam und der Warner Music Group. Bei der internationalen Musikmesse Midem stellte er das neue "Projekt 300" vor und betonte: "Ich glaube fest daran, dass Streaming die Zukunft einer gesunden Musikindustrie ist."
Indem er musikrelevante Daten aus dem Netz herausfiltert und analysiert, will Cohen die langsame Maschinerie großer Labels umgehen. Der Name "300" ist dabei Programm: Er erinnert an eine Schlacht im alten Griechenland, als 300 Spartaner erfolgreich gegen tausend persische Soldaten antraten und sie besiegten.
Cohen erläuterte sein Konzept bei der Midem vor vollem Haus. Kern seines Modells: eine Partnerschaft mit Twitter. Dort darf Cohen in Zukunft große Mengen musikrelevanter Daten - inklusive Ortung der User - abgreifen, die öffentlich noch gar nicht zugänglich sind. Im Gegenzug wird das "Projekt 300" seine Funde nutzen, um Twitter bei der Entwicklung einer Software zu unterstützen. Diese soll dann auch anderen Musiktreibenden von Nutzen sein.
Cohens Absicht dabei ist klar: Dank dieser Informationen aus dem Netz will er Durchstarter wie Roosevelt entdecken - lange bevor sie auf dem Radar eines herkömmlichen Talentscouts auftauchen.
YouTube - legale Piraterie?
Wenn jemand einen neuen Künstler hören möchte, ist YouTube oft die erste Anlaufstelle. In Cannes wurde der Ärger der Musikbranche darüber mehr als deutlich. Axel Dauchez, Geschäftsführer des Streaming-Dienstes Deezer, brachte es auf den Punkt: Die fehlenden Zahlungen an viele Künstler machten aus der Seite den "bedeutendsten legalen Piraten", sagte er.
Auch Black Eyed Peas-Frontmann will.i.am kritisierte YouTube dafür, den Künstler aus sämtlichen Zahlungsvorgängen herauszuhalten. Andere Streaming-Dienste zogen kürzlich ebenfalls den geballten Zorn von Musikern wie Thom Yorke von Radiohead oder David Byrne von den Talking Heads auf sich. Der künstlerische Aufwand stehe in keinem Verhältnis zur Bezahlung, klagten sie.
Verkaufszahlen aus den USA zeigen die Auswirkungen der Streaming-Seiten. Das Marktforschungsunternehmen SoundScan berichtet, dass 2013 die Downloadzahlen auf dem US-amerikanischen Markt - immerhin dem größten der Welt - erstmals gefallen sind. Auch CD-Verkäufe brachen um rund 14 Prozent ein, während das Streaming von Songs um 32 Prozent auf knapp 120 Milliarden Aufrufe anstieg.
Genaue Zahlen für 2013 stehen in Deutschland, das zu den fünf größten Musikmärkten weltweit gehört, noch aus. Vorläufige Statistiken weisen allerdings darauf hin, dass CD-Verkäufe um weitere zwei Prozente sanken, die Einnahmen im digitalen Bereich hingegen um 12 Prozent wuchsen - und das schließt Streaming mit ein.
Millardenwachstum möglich
Marc Geiger, Chef der Musikabteilung der William Morris Endeavor Talentagentur, sieht in den Zahlen kaum Grund zum Pessimismus. Bei der Midem appellierte er an seine Kollegen, endlich zu erkennen, dass das Downloaden von Musikstücken bald der Vergangenheit angehöre - und dass die Zukunft im Streaming liege. Er schätzt, dass die Musikindustrie ihre höchsten Einnahmen bisher Ende der 1990er Jahre mit rund 40 Milliarden Dollar erzielte. Den Midem-Teilnehmern prognostizierte er, dass die Streaming-Gewinne in 15 Jahren bei mehr als 100 Milliarden Dollar liegen könnten.
Seine Schätzung stützte sich auf folgende Voraussetzungen: Die Abo-Gebühren sollten zunächst niedrig sein, dann aber kontinuierlich steigen; monatliche Gebühren sollten die Regel und nicht mehr die Ausnahme sein, und Streaming-Dienste könnten zukünftig mit anderen Angeboten gekoppelt werden. Der US-amerikanische Telefonanbieter AT&T kooperiert zum Beispiel mit Beats Music. Der im Januar von dem innovativen Hiphopper und Produzenten Dr. Dre eröffnete Streaming-Dienst mag für solche Kombi-Angebote der Vorreiter sein.
Den Jukebox-Effekt vermeiden
Streaming bringe noch ein anderes Problem, sagte Deezer-Geschäftsfüher Axel Dauchez der DW und sprach vom "Jukebox-Effekt": Die User spielten nämlich nur Songs und Künstler ab, die sie bereits kennen. Neuen und experimentierfreudigen Musiker stehe so kein Weg mehr offen, ihre Musik zu verbreiten.
"Wenn Streaming für alle nachhaltig werden soll, müssen wir uns alle dafür einsetzen, dass diese Dienstleistung dem User die Möglichkeit bietet, Neues zu entdecken", sagte er. Bevor die User allerdings bei Premium-Streaming-Diensten neue Musik entdecken können, müssen sie erst mal die Gebühren bezahlen. Wie viele von ihnen dazu bereit sind, wird für die Musikindustrie die Schlüsselfrage der nächsten Jahre sein.