Streckt Kolumbiens ELN die Waffen?
7. Februar 2017Schon acht kolumbianische Präsidenten haben versucht, mit der Nationalen Befreiungsarmee ELN Frieden zu schließen - vergeblich. Auch Kolumbiens amtierender Präsident, der Friedensnobelpreisträger Juan Manuel Santos, musste bei Gesprächen mit dem "Ejército de Liberación Nacional", so der offizielle Name, mehrere Rückschläge hinnehmen.
Noch in der vergangenen Woche war unklar, ob die bereits mehrfach verschobenen Friedensverhandlungen mit der ELN stattfinden können. Denn da hatte die ELN den entführten ehemaligen Abgeordneten Odín Sánchez immer noch in ihrer Gewalt. Erst Sanchez' Freilassung am 2. Februar machte den Weg für Gespräche frei.
Nachdem die kolumbianische Regierung im vergangenen Jahr einen historischen Friedensvertrag mit der FARC-Guerilla abgeschlossen hat, ist die ELN die letzte Guerillabewegung in Kolumbien. Beide Gruppen sind sehr unterschiedlich. "Die ELN kann man nicht als FARC Nummer zwei bezeichnen", sagt Hubert Gehring, Büroleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bogotá. "Im Gegensatz zur FARC ist die ELN dezentral angelegt."
Bei der hierarchisch strukturierten FARC haben sich bisher 95 Prozent der Kombattanten der Demobilisierung angeschlossen. Ob sich auch die Mitglieder der eher basisdemokratisch orientierten ELN in diesem Ausmaß an die Ergebnisse von Friedensverhandlungen gebunden fühlen, ist für viele Beobachten noch unklar.
Noch rund 1400 Mann soll die ELN unter Waffen haben. 1964 wurde sie von dem kolumbianischen Befreiungstheologen und Priester Camilo Torres gegründet. Die Guerilla versteht sich als eine Mischung aus Marxismus, Christentum und Nationalismus. Sie will sich nicht in eine politische Partei verwandeln, sondern die Beteiligung der Bevölkerung an politischen Entscheidungsprozessen verankern.
"Kommunistischer Klerus"
Die Verbindungen zur katholischen Kirche sind bis heute spürbar: Koordinator der kolumbianischen Bischofskonferenz für die Friedensgespräche mit der ELN ist der Erzbischof von Cali, Dario de Jesus Monsalve. "Monsalve hat bei den Verhandlungen mit der ELN eine wichtige Funktion als Türöffner gespielt", erklärt Thomas Wieland, Leiter der Projektabteilung bei Adveniat, dem bischöflichen Hilfswerk für Lateinamerika. "Die Kirche wurde von der ELN gebeten, den Friedensprozess zu begleiten."
Monsalves Einsatz für den Frieden ist eine gefährliche Mission. Seit mehreren Monaten erhält er Morddrohungen, zuletzt im Dezember vergangenen Jahres, als Unbekannte ein Flugblatt unter seiner Haustür in Cali hindurchschoben. Die Botschaft lautete: "Tod der FARC, Santos und dem kommunistischen Klerus." In Kolumbien ist der Geistliche mittlerweile ein gefragter Interviewpartner der Presse.
Nach Einschätzung von Adveniat-Projektleiter Wieland werden die Friedensverhandlungen mit der ELN komplizierter und langwieriger als die zuvor mit der FARC. Sie hatten bereits vier Jahre gedauert. Denn die Verhandlungen mit der ELN sollen in fünf verschiedenen Ländern stattfinden. "Das ist mit großem logistischen Aufwand verbunden und kostet viel Geld", sagt Wieland. Außerdem soll die Bevölkerung stärker einbezogen werden." Das Hilfswerk unterstützt die Kirche in Kolumbien dabei, Pfarrer in den Demobilisierungszonen, wo Ex-Kombattanten ihre Waffen abgeben, zu Vermittlern auszubilden.
Entführungen statt Drogenhandel
Welche Punkte genau verhandelt werden - darüber müssen sich die kolumbianische Regierung und die ELN noch im Detail einigen. Verhandlungsführer auf Regierungsseite ist der ehemalige Landwirtschaftsminister Juan Camilo Restrepo. Für die ELN reist Israel Ramírez Pineda, genannt Pablo Beltrán, nach Quito. Der 63-jährige Chemieingenieur gehört zu den Kommandochefs der Guerilla. Er soll für mehrere Entführungen verantwortlich sein.
Immerhin: Tagespunkt eins in Quito steht bereits fest: Es geht darum, in welcher Form die kolumbianische Bevölkerung an den Verhandlungen beteiligt werden kann. Zu den weiteren Themen gehören die Beteiligung der Gesellschaft an der Umsetzung des Friedensvertrags, die notwendigen politischen Reformen, der Umgang mit den Opfern und die Demobilisierung der Ex-Kombattanten.
Entführungen und brennende Pipelines
Schwer vorherzusehen ist allerdings, ob sich die kolumbianische Gesellschaft überhaupt in den Friedensprozess einbringen will. Denn die ELN hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Personen entführt und Anschläge auf Pipelines internationaler Mineralölkonzerne durchgeführt. Bei vielen Kolumbianern ist sie deswegen verhasst.
In grausamer Erinnerung geblieben ist bis heute das "Massaker von Machuca" am 18. Oktober 1998. Bei der Sprengung einer Ölpipeline im Norden von Antioquia brach eine Feuersbrunst aus, bei der 84 Menschen starben, die Hälfte von ihnen Kinder.
Wie ernst nimmt die ELN die Friedensverhandlungen?
Auch jetzt noch macht die ELN mit weiteren Entführungen auf sich aufmerksam - trotz der bevorstehenden Friedensverhandlungen. Erst am 24. Januar kidnappten ELN-Rebellen den kolumbianischen Soldaten Fredy Mahecha Morena in Arauca, einem Bundesstaat, der an Venezuela grenzt und in dem die ELN noch stark vertreten ist. Nach Presseberichten soll er bald freigelassen werden.
Wie die FARC wird auch die ELN damit konfrontiert, Verantwortung für ihre Verbrechen zu übernehmen. Delegationschef Restrepo hat bereits angekündigt, dass die mit der FARC ausgehandelte Sondergerichtsbarkeit auch für den Umgang mit den von ELN-Rebellen übernommen werden soll. Zahlreiche Gegner des Abkommens mit der FARC hatten die im Rahmen der Sonderjustiz vereinbarten Strafen als zu gering kritisiert.
Guerila füllt Machtvakuum
"Beim Thema Gerechtigkeit und Sonderjustiz kann es sich der kolumbianische Staat nicht leisten, eine andere Variante bei der ELN zu fahren als bei der FARC", meint Hubert Gehring. Sonst würden die Ergebnisse mit den FARC in Frage gestellt. Für Gehring gehört es zu den wichtigsten Aufgaben der kolumbianischen Regierung, in die abgelegenen Regionen des Landes zu investieren und die Lebensbedingungen dort zu verbessern.
"Im Chocó oder in Arauca leben viele Leute noch unter feudalistischen Strukturen und die Guerilla übernimmt aufgrund des staatlichen Vakuums öffentliche Aufgaben", so Gehring. "Solange der Staat nicht in allen Regionen präsent ist, wird sich daran nichts ändern, da kann man zig Friedensverträge unterschreiben."