Führung der César-Akademie tritt zurück
14. Februar 2020Er wird seit 1976 verliehen und ist der Oscar Frankreichs: der César, benannt nach dem Bildhauer César Baldaccini, der die Gewinnertrophäe schuf. Kurz vor der nächsten Verleihung, die wie jedes Jahr im Fernsehen übertragen wird und ein mediales Großereignis darstellt, hat die Direktion der Akademie jetzt geschlossen ihren Rücktritt erklärt – und zwar, "um die Gelassenheit zurückzugewinnen und damit das Fest des Films ein Fest bleibt". So begründete es die Direktion des wichtigsten französischen Filmpreises am Donnerstagabend (13.02.2020) in Paris in einer kurzen Mitteilung.
Tiefgreifende Reformen gefordert
Die Unruhe in Frankreichs Kulturszene – insbesondere der Gegenwind, den die Leitung des französischen Filmpreises aushalten muss – ist schon lange spürbar. Die Führungszirkel gelten als elitär und von Männern geprägt. Verkrustete Strukturen, Intransparenz, fehlende Parität und zu wenig Mitspracherecht für die rund 4700 Mitglieder der "Akademie der Kinokünste" – in einem offenen Brief in der Zeitung "Le Monde" hatten rund 400 französische Filmschaffende Anfang der Woche "tiefgreifende Reformen der Führungsstrukturen" gefordert. Unter den prominenten Unterzeichnern waren unter anderem die Schauspieler Ludivine Sagnier ("8 Frauen") und Omar Sy ("Ziemlich beste Freunde"). Dieser Forderung kommt die Akademie-Leitung mit ihrem Rückzug jetzt nach: 21 Filmpersönlichkeiten, darunter César-Direktor Alain Terzian (unser Bild oben) nehmen ihren Hut. Der 70-jährige Filmproduzent leitete den César seit 2003.
Auslöser für den Schritt dürfte jedoch nicht zuletzt auch der umstrittene französisch-polnische Regisseur, Produzent, Drehbuchautor und Schauspieler Roman Polanski sein. Dessen Film "J'accuse" (deutscher Titel: "Intrige") war von der Akademie zwölf Mal für den César nominiert und damit zum Topfavoriten gemacht worden. Polanskis Werk, ein Historiendrama über die Dreyfus-Äffäre mit Jean Dujardin und Louis Garrel in den Hauptrollen, ist unter anderem als bester Film und für die beste Regie nominiert. Das hatte für enorme Proteste gesorgt, denn kurz vor dem Filmstart am 13. November 2019 waren erneut schwere Vorwürfe gegen Polanski bekannt geworden. Die Fotografin und Schauspielerin Valentine Monnier beschuldigt ihn, sie 1975 vergewaltigt zu haben. Der Regisseur von "J'accuse" (wörtlich: "Ich klage an") hatte das über seinen Anwalt zurückweisen lassen.
Polanskis Film über die Dreyfus-Äffäre
"J'accuse", der am 6. Februar 2020 in den deutschen Kinos anlief, ist eine Verfilmung des Romans "An Officer and a Spy" des britischen Schriftstellers Robert Harris. Bei den Filmfestspielen von Venedig 2019 hatte der Film den Großen Preis der Jury gewonnen. Außerdem war er für den Europäischen Filmpreis 2019 nominiert. Die Handlung: Alfred Dreyfus, ein Offizier der französischen Armee, wird 1895 zu lebenslanger Haft verurteilt, weil er angeblich für die Deutschen spioniert haben soll. Marie-Georges Picquart, Leiter der Spionageabwehreinheit, die Dreyfus überführt hat, begreift, dass der Offizier zu Unrecht verurteilt wurde. Er widersetzt sich Befehlen und sagt als Zeuge zu Gunsten von Dreyfus aus.
Mit dem offenen Brief "J'accuse…!" hatte der Schriftsteller Émile Zola am 13. Januar 1898 den damaligen Präsidenten Frankreichs Félix Faure über diesen Skandal aufgeklärt und die Öffentlichkeit aufgerüttelt. Der Titel von Polanskis Film steht umgangssprachlich für den Mut, öffentlich seine Meinung zu sagen und sich gegen Machtmissbrauch zu engagieren. Im Schatten der Vergewaltigungsvorwürfe gegen Polanski bekommt dieser Zusammenhang einen unangenehmen Beigeschmack.
Auch wenn die Filmschaffenden Polanski in ihrem offenen Brief nicht explizit erwähnten: Die MeToo-Debatte ist natürlich auch in Frankreich omnipräsent - erst Recht, da sich in New York gerade der Vergewaltigungsprozess gegen Harvey Weinstein seiner Entscheidung nähert. Mitte November war es bei einer Premiere von "J'accuse" in Paris zu Protesten gekommen. Vor zahlreichen Kinos wurde demonstriert, einige Vorführungen wurden deswegen abgesagt. Auch an der Filmhochschule Łódź, an der Polanski einst seinen Abschluss machte, kam es zu Protesten gegen den berühmten Absolventen. Die wichtigste Frage, die hinter dem Ganzen steht: Kann man ein Werk und seinen Autor trennen?
Lassen sich Werk und Autor trennen?
Frankreichs Gleichstellungsministerin Marlène Schiappa hatte sich nach den 12 Nominierungen für Polanskis Film schockiert gezeigt. "Für mich ist es unmöglich, dass ein Kinopublikum aufsteht und dem Film eines Mannes applaudiert, der wiederholt der Vergewaltigung beschuldigt wird", so die Ministerin. Sie frage sich, welche Botschaft Opfern sexueller Gewalt damit vermittelt werde. Zahlreiche Frauenrechtsorganisationen stimmten ihr zu. Einige haben inzwischen sogar die Absetzung des Films gefordert. "Wir sind keine moralische Instanz", sagte dagegen César-Präsident Alain Terzian. Und auch Frankreichs Kulturminister Franck Riester beteiligte sich an der Debatte: Die Akademie müsse frei sein in ihren Entscheidungen, sagte er. Neben Polanski, dem in den USA nach wie vor ein Prozess wegen Sex mit einer Minderjährigen droht, sorgen unterdessen noch zwei weitere Fälle für Aufsehen: Zum einen beschuldigt César-Preisträgerin Adèle Haenel einen Regisseur, sie als Teenagerin sexuell belästigt zu haben. Zum anderen erhebt die Verlegerin und Autorin Vanessa Springora in einem Buch schwere Vorwürfe gegen den Schriftsteller Gabriel Matzneff.
Wunsch nach "vollständiger Erneuerung"
Die Führung des César verspricht eine Modernisierung - und signalisiert mit ihrem Rücktritt, dass sie bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Der Schritt zeige, dass "unsere Gesellschaft in der Lage ist, Institutionen zu Reformen zu zwingen, wenn sie nicht auf die Wünsche der Gesellschaft reagieren", sagte der französische Filmproduzent Marc du Pontavice, der den offenen Brief in "Le Monde" ebenfalls unterzeichnet hatte. Laut Akademie-Führung soll ihr Rückzug eine "vollständige Erneuerung" ermöglichen. So lautet zumindest der fromme Wunsch. Inwiefern sich Frankreichs Kulturbetrieb dadurch tatsächlich ändern wird, steht in den Sternen. Nach der Preisverleihung am 28. Februar wird es eine Generalversammlung geben, bei der dieser Erneuerungsplan diskutiert und ein neuer Vorstand gewählt werden soll.
Die "Akademie der Kinokünste" besteht aus rund 4700 Mitgliedern, deren Namen geheim sind. Um aufgenommen zu werden, müssen Bewerber zwei "Paten" unter den bestehenden Mitgliedern vorweisen und in den vergangenen fünf Jahren an mindestens drei Filmproduktionen mitgewirkt haben.