Streit um Wasser - auch in Deutschland
26. August 2022Wasser ist ein knappes Gut. Schon lange. Und manchmal ein umkämpftes. Im Pariser Louvre steht eine 4500 Jahre alte Stele aus Mesopotamien, dem heutigen Irak. Zu sehen sind darauf Szenen von Kampf und Krieg. Einem Krieg, den die Könige von Lagash und Umma auch um Wasser führten.
Der Wert unseres wichtigsten Nahrungsmittels hat sich seither noch vervielfacht – und auch die Konkurrenz darum. Inzwischen leben acht Milliarden Menschen auf der Erde; Menschen, aber vor allem Landwirtschaft und Industrie verbrauchen gigantische Wassermengen; zudem hat der Klimawandel die Rhythmen von Regen und Trockenheit durcheinandergebracht.
Wenn Äthiopien am Oberlauf des Nils einen Staudamm baut, fürchten der Sudan und Ägypten um ihre Lebensader. In der Türkei staut der Ilisu-Damm das Wasser des Tigris – entsprechend weniger kommt im Irak an. Auch der Euphrat ist mehrfach gestaut. Eine Studie im Auftrag der EU-Kommission hat 2018 acht Flüsse identifiziert, in deren Gebiet die Gefahr von Konflikten um die Nutzung des knapper werdenden Wassers besonders groß ist: Neben Nil, Euphrat und Tigris nennen die Wissenschaftler noch Ganges, Brahmaputra, Indus und Colorado River.
Dürreland Deutschland?
Deutschland taucht in dem Bericht nicht auf. Deutschland galt immer als wasserreiches Land - bislang. Aber der Klimawandel lässt auch zwischen Alpen und Nordsee die Sommer heißer werden - und trockener. In der Folge verdorren Landschaften, trocknen Feuchtgebiete aus, brennen Wälder. Flüsse fallen als Verkehrsadern aus, weil sie nicht genug Wasser für die Schifffahrt führen. Und so, wie die Grundwasserspiegel sinken, wächst die Sorge um das Wasser von morgen.
Im 500-Seelen Dorf Leisel etwa, gelegen am Rande des Naturparks Hunsrück-Hochwald. Dort sind die Menschen erbost über zwei Mineralwasserbetriebe, die neue Brunnen mitten im Naturpark bohren wollen, um ihre Produktion auszuweiten. Die Einwohner fürchten, dass ihre eigenen Quellen abgeschöpft werden. "Ist die Ausweitung von einer Wasserentnahme im Nationalpark überhaupt zulässig?", fragt der Wasserexperte Holger Schindler. In dem Fall scheinen zumindest die Probebohrungen legal zu sein. Sie wurden noch kurz vor Gründung des Nationalparks 2015 beantragt und genehmigt.
Insgesamt hat Schindler beobachtet, dass die Grundwasserneubildung zurückgeht. In der Folge erwartet der promovierte Biologe, dass sich regional Wasserkonflikte auch in Deutschland zuspitzen werden.
Wir sehen uns vor Gericht!
Zumindest beschäftigen sie immer häufiger die Gerichte. Zum Beispiel im norddeutschen Lüneburg. Dort geht es um Wasser für die nahegelegene Großstadt Hamburg. Der zuständige Wasserversorger, Hamburg Wasser, holt seit 40 Jahren Wasser aus der Heide in die Millionenmetropole. Und möchte die Menge deutlich ausweiten. Der Landkreis hat wegen ökologischer Bedenken die Entnahme 2019 gedeckelt. Dagegen klagt Hamburg Wasser.
Konflikte zwischen Städten und ihrem Umland sind typisch. Besonders deutlich tritt die Konkurrenz zwischen dem Bedarf der Ballungszentren und dem Schutz der Natur im hessischen Ried hervor, einer Region südlich von Frankfurt. Seit Jahrzehnten wird dort Wasser für die Mainmetropole gefördert. Erlaubt sind 44 Millionen Kubikmeter. In der Folge ist das Grundwasser abgesunken. Mit gravierenden Folgen für den Wald. "Die Wälder im Ballungsraum Rhein-Main gehören zu den forstlichen Brennpunkten in Mitteleuropa", hielt schon 2013 eine Studie der Universität Göttingen fest. Und nannte steigenden Wasserbedarf als eine der Ursachen.
Jahrzehntealte Nutzungskonkurrenz
"Wir reden hier über eine jahrzehntealte Wassernutzungskonkurrenz zwischen der Stadt Frankfurt und dem Umland", erläutert Dietrich Borchardt. Der Leiter des Forschungsbereichs "Wasserressourcen und Umwelt" am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung diagnostiziert eine Übernutzung der Wasserreserven. So sehr, dass manchmal der Boden nachgibt: "Es hat dort Gebäudeschäden gegeben und große Streitfälle über die Frage, wo die eigentlich herkommen", sagt Borchardt im DW-Gespräch.
Besonders großen Durst hat die Industrie. Schlagzeilen machte das Werk des Autobauers Tesla im brandenburgischen Grünheide. Elon Musk baute seine "Gigafactory" mitten in eine Region, die unter Wassermangel leidet; das neue Werk steht zudem in einem Trinkwasserschutzgebiet. Und es braucht massenhaft Wasser: geschätzt 1,4 Millionen Kubikmeter im Jahr, 1,4 Milliarden Liter. Ursprünglich waren sogar über 3 Millionen Kubikmeter geplant.
Inzwischen ist das Wasser in der Region so knapp, dass der lokale Wasserversorger mit der Rationierung begonnen hat: Wer in die Region zieht und einen neuen Wasseranschluss bekommt, darf nur noch 105 Liter pro Kopf und Tag verbrauchen. Der Durchschnittsverbrauch liegt dort bei 175 Litern.
Besonders viel Wasser verbrauchen die Energieunternehmen. Kraftwerke lassen Wasser in ihren Kühltürmen verdunsten. Und vor allem im Braunkohletagebau wird jede Menge Wasser abgepumpt. Einer der größten Wasserverbraucher ist der Energieriese RWE. Der verbraucht knapp 500 Millionen Kubikmeter pro Jahr in seinen Braunkohle-Tagebauten. Und muss dafür kaum etwas zahlen. Ein Problem: Die Behörden gewähren Wasserrechte oft über lange Zeiträume, manchmal Jahrzehnte. Und oft stammen sie aus Zeiten, in denen der Klimawandel noch nicht spürbar war.
Wasserrechte und Wissenslücken
Grundsätzlich sei es zunächst einmal gut, dass es in Deutschland überhaupt Wasserrechte gebe und die von öffentlichen Stellen erteilt würden, urteilt Dietrich Borchardt. "Wasser ist ein ererbtes Gut, das es entsprechend zu bewirtschaften gilt. Jeder, der in Deutschland Wasser nutzen möchte, muss dies beantragen und muss dafür eine Genehmigung bekommen." Die Aufsichtsbehörden müssen prüfen, wieviel Wasser es gibt und wieviel Wasser genutzt werden soll. Und die Aufsichtsbehörden müssen dafür sorgen, dass das nachhaltig geschieht.
Allerdings fehlt es oft an den Entscheidungsgrundlagen. Monika Raschke, Wasserexpertin bei der Umweltschutzorganisation BUND, berichtet gegenüber der DW von einer Umfrage, die sie selbst unter 13 Kreisen und kreisfreien Städten in Nordrhein-Westfalen durchgeführt habe. Ergebnis: Die zuständigen Behörden wissen oft nicht, wieviel Wasser der Boden ihnen überhaupt zum Verteilen bietet.
Angesichts der sich zuspitzenden Knappheit arbeitet das Bundesumweltministerium an einer Nationalen Wasserstrategie. In einem 2021 vorgestellten Entwurf ist die Rede von Wasserversorgungskonzepten, die zwischen 2030 und 2050 umgesetzt werden sollen. Wasserbewirtschaftung sei eine Daueraufgabe, erklärt Wasserfachmann Borchardt den langen Zeithorizont. Und verweist darauf, dass sich die Folgen des Klimawandels in ihrer ganzen Schärfe möglicherweise erst nach 2050 zeigen werden. "Darauf müssen wir uns jetzt einstellen", sagt der Helmholtz-Forscher.
Sonst könnten Wasserkonflikte vielleicht doch weiter eskalieren. So wie vor 4500 Jahren. Ein Blick auf die Wasser-Konflikt-Chronologie des Pacific-Instituts zeigt, welche Rolle Wasser aktuell in Kriegen spielt. Der jüngste Eintrag bezieht sich auf den Ukraine-Krieg: Russische Truppen hatten im Februar einen Damm bei Cherson zerstört, der Wasser für die Halbinsel Krim blockiert hatte.