Streitfall europäischer Haftbefehl
13. April 2005Effektivere und schnellere Zusammenarbeit - das wird auch auf juristischer Ebene in Europa immer wieder gefordert. Dazu wurde der europäische Haftbefehl eingeführt, der das Auslieferungsverfahren von Strafverdächtigen innerhalb der Europäischen Union vereinfacht. Doch so richtig begeistert von dieser Neuregelung ist kein EU-Staat.
"Früher war alles besser", scheinen die EU-Mitgliedsstaaten zu denken. Also haben alle Staaten Elemente des alten Verfahrens beibehalten. Früher galt: Die fragliche Handlung musste sowohl im Heimatstaat des Verdächtigen als auch in dem Staat, in den er ausgeliefert werden sollte, strafbar und verfolgbar sein - ein sehr umständliches Verfahren. Dies ist jetzt deutlich vereinfacht worden: Wenn die fragliche Handlung in der sogenannten "Positivliste von Straftatbereichen" aufgeführt ist, kann ausgeliefert werden.
Doch diese Positivliste ist sehr schwammig. "Zum Beispiel: was bedeutet Sabotage? Wir haben keinen Tatbestand der Sabotage im deutschen Recht", sagt Helmut Satzger, Professor für Europäisches Strafrecht an der Universität München. Ähnliches gelte für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. In Deutschland gipfelt die Kritik in dieser Woche vor dem Bundesverfassungsgericht, das erstmalig ausführlich über den europäischen Haftbefehl verhandeln wird.
Unterschiedliche Rechtsordnungen
In vielen anderen Fällen muss die Tat nach wie vor in beiden Staaten strafbar sein. Doch selbst wenn dem so ist: Auch bei der Höhe der Strafe gibt es in den verschiedenen EU-Ländern große Unterschiede. Deutsche Anwaltsvertretungen, Strafrechtslehrer und Richter äußerten Bedenken wegen der Unterschiede in den verschiedenen Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten. Wie kann also zum Beispiel ein Urteil griechischer Gerichte in Deutschland anerkannt werden, wenn hier ganz andere Gesetze gelten?
Diese Bedenken teilen die anderen EU-Staaten und haben reagiert. "Zum Beispiel gibt es Staaten, die diese Vorgaben nicht in verbindliche Vorschriften gegossen haben, zum Beispiel Dänemark", sagt Satzger. Andere Staaten hätten sich vorbehalten, das Vorliegen beiderseitiger Strafbarkeit entgegen der Vorgabe des EU-Beschlusses doch zu prüfen, wie zum Beispiel Frankreich.
Problematisch sind auch Auslieferungsverbote. Die EU kennt bislang nur drei Auslieferungshindernisse: Die bereits erfolgte Bestrafung des Täters im Heimatland, seine Strafunmündigkeit oder eine Amnestie. Stark eingeschränkt dagegen ist das Auslieferungsverbot für eigene Staatsbürger.
Kein Widerspruch in der Heimat möglich
"Wenn jetzt zum Beispiel in Litauen ein solcher europäischer Haftbefehl gegen einen Deutschen ausgestellt wird, dann muss Deutschland seinen Staatsbürger nach Litauen überstellen", erklärt der Jurist. Dies bedeute, der Deutsche könne in seiner Heimat nicht dagegen protestieren, dass diese Tat in Deutschland gar nicht strafbar sei. "Wenn der Verdächtige des Litauischen nicht mächtig ist, wenn er von der litauischen Rechtsordnung keine große Ahnung hat und wenn er auch nicht genau weiß, wie zum Beispiel die Pflichtverteidigung vorgenommen wird, dann herrschen hier gewisse Probleme." Diese seien im Hinblick auf die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens durchaus bedenklich.
Lange vor dem Verfahren haben sich einige deutsche Verfassungsrichter mit massiver Kritik an dem Europäischen Haftbefehl zu Wort gemeldet. "Das Bundesverfassungsgericht hat sich in diesem Fall etwas ganz Großes vorgenommen: Die Richter haben das Verfahren zum Anlass genommen, hier ganz grundlegende Fragen zum Verhältnis von Europarecht und nationalem Recht zu beantworten", sagt der Rechtsprofessor. In den meisten Staaten sei es akzeptiert, dass europäisches Recht dem (nationalen) Verfassungsrecht vorgehe. In Deutschland herrschten da immer noch Zweifel.