Stromstreit zwischen Belarus und Russland
29. Juni 2011Durch die Leitungen fließt kein Strom mehr: In der Nacht auf den 29. Juni hat der russische Stromlieferant Inter RAO EES die Lieferungen nach Belarus eingestellt. Grund ist, dass Minsk seine Verbindlichkeiten in Höhe von 600 Millionen russischer Rubel, das entspricht gut 21 Millionen Dollar, nicht beglichen hat. Experten rätseln, warum die Minsker Führung das Geld nicht auftreiben kann oder will. Sie glauben, dass die belarussische Seite absichtlich versucht, ein eigentlich rein ökonomisches Probleme auf die politische Ebene zu verlagern.
"Hart, aber gerechtfertigt"
Dass die belarussische Bevölkerung nun im Dunkeln sitzt, darüber macht sich ernsthaft niemand Sorgen. Auch hat der russische Lieferant Inter RAO EES den Belarussen den Strom wegen einer vergleichsweise geringen Summe abgedreht. Allerdings hatte die russische Seite überaus deutlich zu verstehen gegeben, dass sie die Begleichung für die seit April aufgelaufenen Stromrechnungen bis zum 28. Juni erwarte. Diese Hinweise haben die belarussischen Verantwortlichen offenbar nicht ernst genommen. Nun sind die Lieferungen von 400 Megawatt an den belarussischen Energiemonopolisten Belenergo auf Null heruntergefahren.
Der unabhängige Ökonom Michail Saesski meint, nirgendwo auf der Welt bestehe man buchstabengetreu auf Vereinbarungen, wenn der Vertragspartner auf Widrigkeiten wegen höherer Gewalt verweisen könne. Doch wenn es beim Vertragspartner zur Regel werde, Zahlungen zu verzögern, dann müsse man mit einer härteren Gangart rechnen, auch damit, dass man womöglich vor Gericht gehe.
Im vorliegen Fall verhalte sich Inter RAO EES gegenüber Belarus hart, aber absolut im Rahmen der Gesetze, findet Salesskij. Zudem handle es sich im Grunde um ein rein finanzielles Problem zweier Unternehmen. Und die Summe von 21 Millionen Dollar sei eigentlich viel zu dürftig, um dahinter politische Hintergründe zu vermuten. Eine ähnliche Meinung vertritt der russische Vize-Prmier Igor Setschin. Auch er bemerkte dazu, es handle sich um eine Angelegenheit zwischen zwei Unternehmen.
Problem mit dem Wechselkurs
Allerdings lässt sich das vorliegende Problem rein unternehmerisch offenbar nicht lösen, jedenfalls nicht in Belarus. Wie die Wirtschaftsexpertin Tatjana Manenok erklärt, verfügt Belenergo sehr wohl über Finanzmittel - allerdings in belarussischen Rubeln. Doch angesichts der aktuellen Wirtschaftskrise hat die Führung in Minsk die Wechselkurse zu ausländischen Währungen festsetzt. Doch zu diesen künstlich niedrigen Kursen kann Belenergo auf dem Devisenmarkt keine russischen Rubel kaufen, während dem Staat der Weg auf den Schwarzmarkt verwehrt ist. Tatjana Manenok erinnert daran, dass Belarus erst vor kurzem vom Eurasischen Wirtschaftsbündnis EVRASES einen Kredit in Höhe von 800 Millionen Dollar erhalten habe. Daher wäre es folgerichtig, wenn die belarussische Regierung daraus einen Teilbetrag auf das Konto des klammen Versorgers Belenergo überweisen würde. Doch dies würde offenbar nicht geschehen.
Energiemärkte: Scheinbar unauflösbare Verflechtungen
Im Endeffekt kann Belarus die Lieferausfälle verkraften. Der Anteil russischen Stroms am täglichen Verbrauch schwankt zwischen drei und zwölf Prozent. Von den 37 Milliarden Kilowatt-Stunde, die Belarus im Jahr verbraucht, produziert das Land mit 34 Milliarden Kilowatt-Stunden den Großteil selbst. Daher sieht Tatjana Manenok das Land durchaus im Stande, sich selbstständig mit Elektrizität zu versorgen. Zudem könnte Belarus in Sanierung befindliche Kraftwerke in Betrieb nehmen oder die Leckagen schließen. Das aber wäre weit aufwendiger als einen Teil des Stroms aus Russland zu beziehen. Denn so oder so hängt Belarus am russischen Energietropf: Belarus stellt seinen Strom hauptsächlich aus russischem Gas her. Andererseits ist Inter RAO EES, abgesehen von den aktuellen Problemen, ebenfalls daran interessiert, Strom auf dem belarussischen Markt abzusetzen.
Gewöhnt an Wohltaten
Allen Beteiligten müsste an einem schnellen Ende des Stromstreits gelegen sein. Doch tatsächlich verschärft er sich. Der Politologe Jurij Barantschnik vermutet, dass die belarussische Seite versuche, dem Streit eine politische Dimension beizumessen. "Im Grunde kann ich nicht verstehen, worin das Problem besteht. Man muss doch nur mit ökonomischem Sachverstand herangehen: Die Bestellung ist geliefert, nun erfolgt die Bezahlung." Schließlich verfüge Belarus über Devisenreserven in Höhe von rund 3,6 Milliarden Dollar in Gold. Der Politologe mahnt, Belarus müsse die jahrelange Praxis russischer Geschenke für die eigene Wirtschaft hinter sich lassen.
Autor: Andrej Timarow / Birgit Görtz
Redaktion: Bernd Johann