Strukturwandel auf Helgoland
16. Oktober 2013Fast jeder Helgoländer lebt vom Tourismus. Nicht nur Hoteliers und Restaurantbesitzer, auch Dienstleister wie etwa Handwerker. Doch die goldenen Zeiten mit 10.000 Tagesgästen sind vorbei, heute sind es an Spitzentagen 3500. Ein weiteres Standbein muss her. Von seinem Wandel zur "Offshore-Service-Insel" verspricht sich die Insel neue Einnahmen und neue Jobs. Und tatsächlich: Neben den Angestellten der Energieunternehmen WindMW, Eon und RWE, die nun auf der Hochseeinsel sind, lockt Helgoland auch andere Unternehmen an, die vom Offshore-Kuchen ein Stück abhaben wollen. Mit neuen Geschäftsideen.
Umzug nach Helgoland
"Ick bin en moat", "Ich bin ein Freund" – etwas anderes fällt ihm so spontan nicht ein, wenn er auf seinen ersten Helgoländisch-Kurs angesprochen wird. Ist ja auch schon anderthalb Jahre her, sagt Alexander Matern. Der 30jährige ist im Februar 2012 mit seiner Frau auf die kleine Insel in der Nordsee gezogen und wollte Helgoländisch lernen. Die Sprache klingt ein bisschen wie Plattdeutsch und wird nur noch von 150 Menschen gesprochen. Dann aber lief es an mit dem Job und inzwischen hat Matern keine Zeit mehr für Sprachkurse an der Insel-Volkshochschule. Die Windenergie nimmt ihn voll und ganz in Beschlag.
Alexander Matern kommt aus Bochum, hat Kraftfahrzeugmechaniker gelernt. Früher schraubte er an Autos, jetzt an Schiffen. Meistens an den sogenannten Crewtendern. Das sind die Schiffe, die zwischen Helgoland und den Windparks hin- und herpendeln. Sie bringen die Techniker und Monteure von Siemens, Repower, WindMW und RWE morgens von der Insel zu den Baufeldern in der Nordsee und abends wieder zurück. 23 Kilometer hin, Versorgungsfahrten in den Windparks, 23 Kilometer zurück. So etwas wie schwimmende Busse zur Arbeit. Die Crewtender sind extrem teuer, müssen immer im Einsatz sein. Fallen sie aus, wird es teuer für ihre Besitzer, die Energieunternehmen. Dann können nicht alle Monteure in den Windpark gebracht werden, der Aufbau der Windanlagen könnte sich verzögern. Deshalb ist die Wartung so wichtig, sagt Alexander Matern. Und hier kommt er ins Spiel.
Ein Job mit Zukunft
Eigentlich ist Matern bei einer Firma aus Rendsburg in Schleswig Holstein angestellt. Dort aber ist er selten. Er ist die Ein-Mann-Filiale auf Helgoland. Er wird von den Energieunternehmen angeheuert, um deren Schiffe am Laufen zu halten. Regelmäßig nach einer bestimmten Anzahl von Betriebsstunden ist die Wartung dran. Matern ist auf Motoren spezialisiert: Hydraulik, Schläuche, Ölwechsel. Und weil die Crewtender tagsüber im Windpark sind, arbeitet Matern häufig nachts.
Dann ist er ziemlich allein im Südhafen von Helgoland. Denn Nachtleben gibt es kaum auf der Insel. Sie lebt von Touristen, die Ruhe suchen: tagsüber am Strand, auf den Klippen, in der Natur, abends im Restaurant und dann im Hotelbett. Genau das haben auch Matern und seine Frau gesucht, als sie im Februar 2012 von Bochum nach Helgoland zogen. Raus aus der Industrie-Großstadt, rein in das Dorfleben mit 1.500 Nachbarn. Die einzige Bedingung: ein Job, der Zukunft hat auf der Insel. Den hat Matern jetzt.
Techniker statt Touristen
Er ist nicht der einzige, der als sogenanntes "Sekundärunternehmen" sein Geschäft mit der Offshore-Branche macht. Hotels etwa vermieten ihre Zimmer auf Jahre hinaus an die Servicetechniker. Allen voran das Atoll, ein modernes Haus mit vier Sternen und viel Glas. Es ist das Beste am Platz, sagen manche, direkt an der Mole. Statt Touristen werden im Atoll in den nächsten 10 Jahren die Techniker des Energieunternehmens WindMW wohnen. Andere Hoteliers bieten einen Rund-um-Service für jene Monteure, die in neu gebauten Wohnungen leben werden: vom Frühstück bis zur Reinigung der Wohnung. In der Nähe des Hubschrauberlandeplatzes im Süden der Insel hat auch eine Wäscherei geöffnet. Auch hier will jemand mit den neuen Einwohnern Geld verdienen. Das Kalkül: nach 12-Stunden Arbeit im Windpark werden die wohl kaum noch Kleidung waschen wollen.
Tourismustouren zu Windparks
Offshore als Marktlücke? "Klar", sagt Birte Dettmers von der FRS. Die Flensburger Förde Reederei Seetouristik schickt täglich einen Katamaran von Hamburg nach Helgoland. Beladen mit mehr oder weniger Helgolandgästen, je nach Jahreszeit, rast er vormittags mit fast 70 Stundenkilometern über die Nordsee, um sie pünktlich zur Mittagszeit auf der Insel auszuspucken. 16:30 Uhr geht es dann wieder zurück zum Festland. Die Zeit dazwischen ist bislang tote Zeit, dann liegt der Koloss träge im Südhafen Helgolands.
Ab 2014 aber soll Schluss sein mit langer Mittagspause. Dann wird der "Halunderjet" zum Windpark-Sightseeing-Shuttle. "Im August dieses Jahres gab es eine Probefahrt im Rahmen einer Offshore-Konferenz auf der Insel. Das Interesse der Gäste war sehr, sehr groß", sagt Birte Dettmers. 25 Euro wird der Platz auf der Tour zum Windpark kosten. Hinein in den Park darf das Touristenschiff zwar nicht, aber auch mit dem vorgeschriebenen Abstand von 500 Metern sind die Windmühlen beeindruckend: fast 100 Meter ragen sie über den Köpfen der Gäste in den Himmel. Und wenn die Offshore-Touren ab April 2014 losgehen, werden noch mehr Anlagen installiert sein: 208 sollen einmal vor Helgoland stehen. Die Reederei FRS plant zehn Fahrten für die nächste Saison. Ob sich das wirklich lohne angesichts der steigenden Dieselpreise? "Es ist wirtschaftlich. Sonst würden wir es nicht machen", sagt Birte Dettmers.
Personal gesucht
Auch Alexander Matern ist immer wieder selbst draußen in den Windparks. Neben den Schiffsmotoren wartet und repariert er auch die Notstromaggregate in den Windanlagen oder in den Messmasten, die im Park für die Errichterunternehmen wichtige Daten sammeln: Wellenhöhe oder Windstärke. Ob draußen auf hoher See oder auf der Helgoland selbst: Je schneller in den vergangenen Monaten die Arbeiten vorangehen, je mehr gebaut und installiert wird, desto voller wird Materns Terminkalender. "Die Tendenz geht zum zweiten Mann", sagt er. Die Windkraftbranche auf Helgoland bringt also nicht nur neue Aufträge für seine Firma, Alexander Matern könnte vielleicht bald Kollegen bekommen, neue "Moats fan Hillig Lunn". Neue Freunde Helgolands.