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Schwere Zeiten für die Demokratie

Friedel Taube28. Februar 2016

Der Transformationsindex der Bertelsmann Stiftung zeichnet ein düsteres Bild: In immer mehr Ländern werden Bürgerrechte und Freiheit eingeschränkt oder ganz beschnitten. Und das nicht nur in autokratischen Staaten.

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Proteste auf dem Tahir-Platz in Kairo 25.1.2015
Anti-Regierungs-Demonstration in Kairo (Januar 2015)Bild: Reuters/Waguih

Das Urteil der Bertelsmann Stiftung ist hart: In einem Fünftel der untersuchten Länder hat die Qualität der Demokratie deutlich abgenommen, Repressionen nehmen vielerorts zu, politische Partizipation findet immer weniger statt.

Seit 2006 nimmt die Stiftung alle zwei Jahre den Entwicklungsstand von 129 Umbruchsländern weltweit unter die Lupe - unter politischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Dabei geht es genauso um die Untersuchung von rechtsstaatlichen Prinzipien wie auch um Sozialpolitik.

Immer mehr "hart autokratische" Staaten

Die Studie unterteilt dabei in ihrer neuesten Ausgabe 74 demokratisch regierte Länder und 55 autoritär geführte. Besonders in den Autokratien haben die Repressionen seit der letzten Studie 2014 stark zugenommen. Nur noch 15 Autokratien würden ihre Bürger zumindest rudimentär schützen, so die Studie. Rund drei Viertel der autokratisch geführten Regierungen schränkten die Freiheitsrechte so weit ein, dass ihr System als "hart autokratisch" zu bezeichnen sei. Darunter sind - rund fünf Jahre nach dem "Arabischen Frühling" - viele nordafrikanische Länder. Aber nicht nur: Besonders beunruhigende Rückschritte bei der Presse- und Meinungsfreiheit hätten Ägypten und Thailand gemacht.

Beim Thema "Freie Wahlen" prangert die Studie unter anderem das Verhalten der Regierungen in Burkina Faso und Libyen an. Das Recht auf Versammlungsfreiheit hat unter anderem in Libyen, Ägypten und Thailand stark gelitten. Nicht selten würden in diesen Ländern die Freiheitsrechte unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung eingeschränkt.

Auch viele Demokratien leiden

Doch nicht nur in Autokratien leiden immer häufiger die Bürger- und Freiheitsrechte. Auch viele demokratische Staaten sind betroffen, darunter solche in Mittelosteuropa, die in vorherigen Studien bereits als deutlich stabiler eingeschätzt worden waren. Das wohl auffälligste Beispiel für eine dieser "illiberalen Demokratien" ist Ungarn, wo laut Studie besonders die Pressefreiheit unter der Regierung Orban stark eingeschränkt ist. Auch in Mazedonien und - wenn auch deutlich schwächer - in Slowenien gebe es "Tendenzen zum Durchregieren". Die jüngsten Reformen der national-konservativen Regierung in Polen sind in der Studie zwar noch nicht berücksichtigt, die Stiftung verweist aber bereits jetzt darauf, dass viele Beobachter befürchten, dass demokratische Errungenschaften in näherer Zukunft ausgehöhlt werden könnten.

Ungarn Viktor Orban Premierminister
"Illiberale Demokratie": Ungarns Premierminister Viktor OrbanBild: imago

Die Türkei wird gar als "defekte Demokratie" bezeichnet. Der zunehmende Druck der Regierung Erdogan auf die Justiz sei ein Beleg dafür, ebenso Gewalt und Strafverfolgung gegen Journalisten und die Einschränkung der Versammlungsfreiheit im Zuge von Anti-Terror-Gesetzen. Das Regierungssystem in der Türkei, so die Studie, entwickle sich von einem parlamentarischen zu einem präsidialen.

Zudem gehört die Türkei zu den insgesamt 42 untersuchten Ländern, denen der Index eine starke religiöse Prägung attestiert. Neben zahlreichen Staaten aus dem arabischen Raum gehören dazu aber auch afrikanische Länder wie Nigeria und der Senegal, asiatische Staaten wie Indonesien und, was manch einen Beobachter überraschen mag, Russland. Hier ließen sich die russisch-orthodoxen Glaubensvertreter immer stärker von der Regierung instrumentalisieren. Die Kirche stünde in Russland in den Augen vieler für traditionelle, russische Werte - in Abgrenzung zu westlich-liberalen Grundvorstellungen.

Soziale Missstände als Grund

Den Grund für die Krisen und Konflikte in so vielen Transformationsländern sieht die Studie in fast allen Fällen in einer verfehlten Sozialpolitik. Armut, Ungleichheit und wirtschaftliche Perspektivlosigkeit sorgten für die Spannungen, die sich in Protesten entladen. Auch die wirtschaftliche Stabilität sei in vielen Ländern zurückgegangen - darunter in mehr als der Hälfte der G20-Staaten, wie zum Beispiel in Brasilien und Russland. "Dringend nötige sozialpolitische Maßnahmen" seien unter diesen Voraussetzungen kaum möglich, so die Bertelsmann Stiftung.

Bleibt am Ende die Frage: Was tun gegen das offensichtlich globale Demokratiedefizit? Das Rezept der Studie lautet: Teilhabe und Dialog ermöglichen, Reformen umsetzen und Korruption bekämpfen. Am Ende stehen müsse ein Konsens von "Regierungen und Regierten darüber, wo die Reise hingeht". Alles andere würde zu mehr Populismus und noch stärkerer Radikalisierung führen. Der kommende Transformations-Bericht für 2018 würde dann womöglich noch fataler ausfallen als die diesjährige Ausgabe.