Der Kreml und die Russenmafia
28. April 2017Seit Russland 2014 die ukrainische Halbinsel Krim annektierte, steht es schlecht um das Verhältnis zwischen Moskau und dem Westen. Seitdem sucht die russische Regierung verstärkt nach Wegen, ihren Einfluss jenseits der Diplomatie auszubauen. Laut einer Studie des European Council on Foreign Relations (ECFR), einem europaweit tätigen Thinktank, setzt Moskau dabei nicht nur auf seine Geheimdienste, sondern auch auf die Zusammenarbeit mit der organisierten Kriminalität.
So gebe es enge Verbindungen zwischen dem Sicherheitsapparat des Kreml mit seinem Auslandsgeheimdienst, dem militärischen Geheimdienst sowie dem Inlandsdienst FSB und russischsprachigen Mafiagruppen, die in Europa agierten. Mehr noch: Der Kreml beauftrage diese Gruppen immer wieder, um seine Interessen durchzusetzen. "Der russische Staat ist in hohem Maße kriminalisiert, und die Durchmischung der politischen Klasse mit Vertretern aus der 'Verbrecherwelt' hat dazu geführt, dass die Regierung sich zur Durchsetzung ihrer Interessen immer wieder die Dienste von Kriminellen in Anspruch nimmt" - so ein Zitat aus der ECFR-Studie.
Von Cyberkriminalität bis Menschenschmuggel
"Es war in den 90er Jahren, dass kriminelle Unterwelt, Politik, Wirtschaft und die staatlichen Sicherheitsdienste begannen, sich miteinander zu vernetzen", sagt Mark Galeotti, Autor der Studie und Experte für russische Sicherheitsangelegenheiten der Deutschen Welle. Nachdem Wladimir Putin im Jahr 2000 Präsident wurde, veränderten sich diese Querverbindungen laut seiner Studie in dem Sinne, dass die politischen Eliten sich der Verbrecherwelt zur Durchsetzung ihrer Ziele bedienten. Das Ergebnis laut Galeotti: Gangster können Gangster bleiben, ohne systematische staatliche Repressionen fürchten zu müssen - zumindest solange sie die Regel akzeptieren, dass die größte Bande in der Stadt immer noch der Staat ist.
Der Studie zufolge wurde dies mittlerweile auch auf die in Europa agierende sogenannte Russenmafia ausgedehnt. Diese sei von den Moskauer Behörden für verschiedene Zwecke eingesetzt worden, etwa um Cyberangriffe auszuführen, für den Schmuggel von Gütern und Menschen und sogar, um gezielte Mordanschläge im Auftrag des Kreml auszuführen. Im Falle von illegalem Warenhandel etwa nutzten Russlands Sicherheitsdienste ihre Infrastruktur, um Güter über die Grenzen zu befördern, und erhielten dafür einen Teil des Profits.
Wie verschwand Russenspion Christopher Metsos?
Als weiteres Beispiel für eine Kooperation zwischen den höchsten staatlichen Stellen in Moskau und der russischen Verbrecherwelt nennt Galeotti, der auch am Institut für Internationale Beziehungen in Prag tätig ist, einen Vorfall aus dem Jahr 2010. Damals sorgte eine aufsehenerregende Spionageaffäre zwischen Russland und den USA weltweit für Schlagzeilen: Die US-Behörden hatten ein russisches Spionagenetzwerk in den USA ausgehoben. Zehn russische Spione wurden gegen vier US-Agenten ausgetauscht. Doch ein weiteres Mitglied des russischen Netzwerks, Christopher Metsos, der auf Zypern verhaftet und gegen Kaution vorübergehend freigelassen wurde, verschwand spurlos. Galeotti sagt, mehrere US-Geheimdienstmitarbeiter hätten ihm unter der Bedingung der Geheimhaltung ihrer Namen gesagt, ihrer Ansicht nach sei Metsos, beschützt von der russischen Mafia, von Zypern nach Russland gebracht worden.
Russenmafia ist längst weg vom Straßengeschäft
Für seine Studie nutzte Galeotti nach eigener Aussage vertrauliche Aussagen europäischer Geheimdienstmitarbeiter sowie Gespräche in Kreisen der organisierten Kriminalität in Europa und Russland, um Informationen über die Zusammenarbeit zwischen dem Kreml und der Mafia zu erhalten.
Besonders dort, wo es große russischsprachige Bevölkerungsgruppen gebe, sei die russische Mafia anzutreffen, so der Experte und nennt Südspanien, Griechenland und Litauen als Beispiele. Auch an den Brennpunkten von Menschen-, Waren- und Drogenschmuggel, wie etwa Berlin, gebe es eine starke Präsenz der Russenmafia. Anders als noch vor 20 Jahren agiere sie in Europa aber nicht mehr auf offener Straße. Vielmehr operiere sie als Partner, Vermittler und Unterstützer für lokale Banden sowie für europaweit arbeitende kriminelle Netzwerke. Schätzungsweise ein Drittel des Heroins, das Europas Straßen erreiche, sei durch die Hände der russischen Mafia gegangen.
"Russland sichert sich Einfluss auf die Banden"
Walter Kegö, der am Institut für Sicherheits- und Entwicklungspolitik in Stockholm zum Thema der organisierten Kriminalität in Russland forscht, bestätigt Galeottis Aussagen. Die russische Mafia in Europa blieben lieber im Schatten, sagt Kegö der DW. Dennoch übe sie einen großen Einfluss aus, und zwar nicht nur innerhalb der Welt der Kriminellen, sondern auch der Politik. "Es gibt keinen Zweifel, dass hohe Kreml-Beamte die Mafia immer wieder für ihre Zwecke nutzen", so Kegö.
Die Zusammenarbeit zwischen dem Kreml und der Mafia sehe so aus, dass Moskau jede direkte Verbindung verschleiern könne, erläutert Galeotti. Der Kreml wende sich an solche kriminellen Banden, die mit Russland durch Besitz oder Menschen verbunden oder die auf Transporte über russisches Territorium angewiesen seien. Dadurch behielten die Sicherheitsbehörden Einfluss auf die Kriminellen. Und bei Bedarf, so Galeotti, wende sich der Kreml an die Banden mit einer Bitte, die diese nicht ablehnen könnten.