Studieren ohne Lehrbücher
13. Oktober 2013"In einem Kurs sind wir fast 100 Studenten, aber die meisten von uns können den Stoff nicht lernen, weil wir nur zehn Bücher zur Verfügung haben", erzählt Farhad Nekzad. Er studiert Medizin an der Universität Herat im Westen Afghanistans. Auch sein Kommilitone Mohammed Islam von der Universität Khost im Osten des Landes, ärgert sich über Mangel an Lehrmaterial. "In Mikrobiologie hat nur unser Dozent ein Buch", beschwert er sich. "Er gibt uns jedes Mal Kopien von einem Kapitel und wir können dann nur diesen begrenzten Stoff erarbeiten." Kürzlich wollte er sich in der Bibliothek ein Physiologie-Buch ausleihen, aber selbst für dieses Basisfach gebe es keine Bücher. "Auf dem Markt sind sie unerschwinglich - ich kann sie mir nicht leisten", sagt er hilflos.
Lehrbücher in den beiden offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu oder auch in englischer Sprache gebe es kaum, sagen die Studenten. Die wenigen erhältlichen Lehrbücher in Farsi [das im Nachbarland Iran gesprochen wird und mit Dari verwandt ist, d.Red.] seien wegen vieler unbekannter Begriffe kaum für den Unterricht zu gebrauchen. "Auf Dauer ist diese Situation sehr nervenaufreibend", klagt Nazir Ahmad, der in Herat Ingenieurswissenschaften studiert. "Oft gibt es Streit unter den Studenten, oder die Bücher werden teuer verkauft."
Allein die Existenz von Bibliotheken reicht nicht
Der stellvertretende Leiter der Universität Herat, Nazir Ahmad Sekandary, kann solche Klagen nicht nachvollziehen. Seine Hochschule - dort sind zur Zeit 12.500 Studenten eingeschrieben - habe im vergangenen Jahr mehr als 20.000 Bücher mit über 500 Titeln angeschafft. "Es gibt mehr Bücher, als die Studenten angeben", so Sekandary. Aber man könne die Bücher nicht den Studenten zur individuellen Nutzung überlassen, denn "die Bücher werden nicht ordnungsgemäß behandelt". Die Studenten könnten sie sich jedoch in den Universitätsbibliotheken ausleihen. Für den Computer Science Studenten Parwez Hazem ist das kein Trost: "Es gibt meist keine Bibliothekare, die sich um die Ausleihe kümmern", sagt er. "Wir können die Bücher also nicht benutzen, obwohl sie in der Bibliothek liegen."
Vize-Rektor Sekandary gibt zu bedenken, dass die Anschaffung von Büchern eine große Herausforderung für die Universitäten sei - angesichts der schlechten wirtschaftlichen Lage des Landes und der hohen Zahl von Studenten. Laut dem afghanischen Ministerium für Hochschulbildung studieren zur Zeit in Afghanistan rund 250.000 Frauen und Männer an 31 staatlichen und mehr als 70 privaten Hochschulen.
Ohne Bücher fehlt es auch an Beispiel-Abbildungen
Der Deutsch-Afghane Yahya Wardak setzt sich seit 2009 für die Erarbeitung und Verteilung von afghanisch-sprachigen Lehrbüchern an Hochschulen ein. Sein Interesse gilt vor allem der Medizin. "Alle Fächer in Afghanistan haben einen Bedarf an Büchern. Vor allem aber leiden die Medizin-Studenten, denn sie brauchen für ihr Studium besonders dringend Abbildungen", sagt Wardak. Ohne Bücher und Illustrationen sei es fast unmöglich, ein Fach wie Medizin zu studieren, da ist er sich mit den Studenten einig. Dabei sei eine gute Ausbildung von Ärzten sehr im Interesse der Bevölkerung. "Wenn es keine Bücher gibt, kann der Student nicht lernen, lernt er nicht, kann er kein guter Arzt werden. Wenn wir keine Ärzte haben dann können die Menschen nicht behandelt werden und sie müssen teure Behandlungen im Ausland zahlen."
Unterstützt vom Deutsch Akademischen Austauschdienst (DAAD) und der deutschen Initiative "Kinderhilfe Afghanistan" hat Yahya Wardak deshalb 137 Lehrbuchtitel mit 129.000 Exemplaren aufgelegt und diese an Universitäten in ganz Afghanistan verteilt. Den Büchern in den Sprachen Paschtu und Dari ist eine CD beigelegt, um die Verbreitung zu vereinfachen. In Zukunft will Wardak auch Lehrmaterial aus anderen Fachbereichen anbieten.
Dozenten profitierten ebenfalls von diesem Projekt, sagt Alexander Kupfer, Leiter des DAAD-Afghanistanreferats. "Sie arbeiten die Skripte nach wissenschaftlichen Kriterien auf. Die Publikation fördert ihre eigene Karriere - und sie ist ein großer Anreiz, sich aktiv an den wissenschaftlichen Aufbautätigkeiten in Afghanistan zu beteiligen."