Studium für Wiederaufbau
19. August 2012Ihren vollständigen Namen möchte Stipendiatin Ada lieber nicht nennen. Abwehrend schüttelt sie den Kopf. Die langen hellbraunen Haare tanzen. Zwar ist Adas Heimat Tschetschenien weit weg, dennoch hat die junge Frau ein ungutes Gefühl, wenn sie sich öffentlich zur politischen Lage in ihrem Land äußern soll. Entsprechend knapp erklärt sie darum, weshalb sie seit 2009 in Tübingen Politikwissenschaft und Geschichte studiert und nicht an der staatlichen Universität ihrer Heimatstadt Grosny.
Durch die beiden Kriege gebe es wenig gut ausgebildete Lehrkräfte, zählt sie auf, wenig Fachbücher und auch wenig Meinungsfreiheit. Und vor allem: Ihr Wunschfach Politikwissenschaften werde in Grosny gar nicht angeboten. Deutlichere Worte über die Zustände an der tschetschenischen Staatsuniversität findet die deutsche Studentin Gina Burger. Sie ist seit sechs Jahren bei "Studieren ohne Grenzen" aktiv und kennt die schwierige Lage in Grosny.
Entführungen und Korruption
Bis vor kurzem durfte dort nur studieren, wer viel Schmiergeld für einen Studienplatz bezahlen konnte. Außerdem sei es um die Sicherheit kurz nach dem zweiten Tschetschenien-Krieg sehr schlecht bestellt gewesen, erklärt Gina. "Wir haben gesehen, dass es zum Teil zu Entführungen an der dortigen Universität kam und dass auch jetzt noch immer Korruption vorherrscht." Natürlich, pflichtet sie Ada bei, gebe es auch einen großen Mangel an aktueller wissenschaftlicher Literatur, Arbeitsmaterialien und gut ausgebildeten Dozenten.
Deshalb bemüht sich Gina seit Jahren, über "Studieren ohne Grenzen“ Stipendien für engagierte junge Menschen aus Tschetschenien zu organisieren. In Tübingen studieren zur Zeit zwei Frauen. Im Wintersemester soll - wenn alles gut geht - ein weiterer Student aus Grosny kommen. Bis klar war, wer das sein würde, hat es Monate gedauert, erzählt Julia Milewski von der "Arbeitsgruppe Tschetschenien".
Wiederaufbau nach dem Studium ist Pflicht
Denn: Gute Schulnoten spielen eigentlich keine Rolle. Wer sich bewirbt, muss vielmehr bereit sein, als so genannter "Multiplikator" nach dem Studium in der Heimat am Auf- und Ausbau der Bildungslandschaft mitzuarbeiten. "Ich glaube, wir hatten so zwischen zehn und zwanzig Bewerbungen", erinnert sich Julia. Und unter all denen müsse man genau die finden, die tatsächlich etwas bewegen wollten. "Dann muss natürlich das Organisatorische geklärt werden", erzählt die Studentin. Dazu gehört unter anderem, die Botschaft anzuschreiben und das Visum zu beantragen.
Außerdem brauchen die Studenten Geld - etwa 650 Euro monatlich. Auch Deutschkurse müssen organisiert, eine Unterkunft in einem Studentenwohnheim besorgt und regelmäßige Treffen mit deutschen Studierenden ermöglicht werden. Je gründlicher das alles organisiert ist, desto eher haben die Stipendiaten Zeit und Nerven für die Entwicklung ihrer eigenen Projekte. Ada will nach ihrem Studium zum Beispiel ein freies Jugendzentrum in Grosny aufbauen, das sich um die Rechte von jungen Tschetschenen kümmert.
Soziales Engagement gehört dazu
Nicht nur in Tschetschenien, vor allem im Kongo und künftig auch in Afghanistan sind die Mitglieder von "Studieren ohne Grenzen" aktiv. Dass die Vereinten Nationen den Verein zum offiziellen Projekt der Dekade für nachhaltige Entwicklung erklärt haben, gibt zwar allen Beteiligten enormen Auftrieb, sagt der Vorsitzende Marian Gutscher. Noch mehr sind es aber die tatsächlich sichtbaren Erfolge der Arbeit vor Ort, für die er neben dem Studium viele Stunden ehrenamtlich arbeitet.
"Wir haben jetzt die ersten Absolventen", erzählt er, "Leute, die einen Uniabschluss erworben haben. Den kann ihnen keiner mehr weg nehmen." Und auf noch etwas ist der Vorsitzende des Vereins stolz: Gerade in den Kongo-Stipendien-Programmen sind alle Stipendiaten ehrenamtlich aktiv während des Studiums. Sie geben Alphabetisierungskurse und Aufklärungskurse zur Hygiene. "Und sie machen diese ehrenamtliche Arbeit nach dem Studium weiter", betont Gutscher.