"Sturmwarnung" über dem Schwarzen Meer
29. November 2018Das Schwarze Meer ist nur selten Wogen umtost. Und auch geostrategisch haftete dem eher flachen Gewässer lange der Vorzug an, nicht zu den Hot Spots der globalen Brennpunkte zu zählen. Das änderte sich 2014 schlagartig mit der Krim-Annexion Russlands. Putin nahm die Schenkung der Halbinsel an die Ukraine durch KPdSU-Parteichef Nikita Chruschtschow von 1954 einfach wieder zurück. Seitdem verwandelt sich die Krim zu einem "Flugzeugträger" für russische Interessen an der Südostflanke der Nato.
Denn Russland schafft Fakten im und am Schwarzen Meer. Allein auf der Krim hat Moskau inzwischen rund 28.000 Soldaten stationiert. Der Militäretat hat sich in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt. Fest steht: Die Mini-Flotte der Ukraine, deren Häfen im Asowschen Meer liegen, ist im Würgegriff Putins. Schon seit 2008, so der Befund der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, wird die militärische Präsenz in der Region systematisch ausgebaut. Der Militärdistrikt "Süd" ist vor allem am Schwarzen Meer Aufrüstungsterrain.
Mit neuen U-Booten und Fregatten, die mit Langstrecken-Marschflugkörper vom Typ "Kalibr" bestückt sind, ist Russlands Schwarz-Meer-Aufrüstung eine offene Ansage der Stärke gegenüber den Nato-Anrainern, vor allem Bulgarien und Rumänien.
Das Schwarze Meer - ein russischer Tümpel?
Besonders für diese Länder ist das potentielle Krisenszenario in der Region pikant. Das zu Sowjetzeiten Moskau-treue Bulgarien und auch das eher Moskau-distanzierte Rumänien, stehen längst als Nato-Staaten auf der anderen Seite. Ihre Küste ist die lange vernachlässigte Südostflanke des Bündnisses.
Rumänien warnte schon lange vor der Krim-Annexion davor, das Schwarze Meer nicht zu einem "russischen Tümpel" verkommen zu lassen. Mit Nachdruck fordert Bukarest mehr Nato-Präsenz vor Ort - inklusive eines multinationalen Flottenverbandes.
Bulgarien lehnte das damals zögerlich ab. Zu eng sind immer noch die emotionalen und kulturellen Bande zu "Mütterchen Russland". Eine Schwachstelle für die Allianz. Zumal der unsichere Kantonist in Sofia militärisch noch aus den Reserven sowjetischer Hinterlassenschaft schöpft. Die alten Flugabwehrsysteme kennt das russische Militär nur allzu genau - vor allem deren Nachteile. Die Forderung Donald Trumps, die Mitgliedsstaaten mögen bitte mehr selbst tun für den Verteidigungsfall, machte inzwischen auch in Bulgarien Eindruck. Regierungschef Borisov kündigte im Sommer eine bis zu zwei Milliarden Euro teure Modernisierung der Streitkräfte an.
Russen und Türken - zwei Machtfaktoren in Kooperation
Die Achillesferse der Nato an ihrer Südostflanke wird erst richtig deutlich mit Blick auf die Türkei. Erdogans über Jahre immer wieder bestätigte Wahrnehmung, dass der Westen die Türken sowieso nicht vollwertig zu integrieren gedenkt, wird noch verstärkt durch die wechselseitigen Vorbehalte des US-Präsidenten gegen Erdogan und umgekehrt. Längst sucht Ankara seine wirtschaftliche und auch sicherheitspolitische Zukunft im Osten. Ausgerechnet Moskau verkaufte dem türkischen Militär S400 Raketenabwehrsysteme. Ein Aufreger innerhalb der Nato, der an der Bündnistreue der Türken Zweifel aufkommen lässt.
Die türkische Marine - insbesondere die U-Boot-Flotte - ist trotz Aufrüstung der Russen auf der Krim Putins Armee immer noch überlegen, doch sicherheitspolitisch zeigt sich die Türkei auffallend defensiv. Russland ist nicht der potentielle Feind, eher ein Kooperationspartner. Nichts macht das deutlicher als Erdogans Besuch bei Putin nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets über Syrien, bei dem er sich für den Vorfall entschuldigte und den Opfern großzügige Entschädigung versprach.
Echte Freunde sind sie nicht, aber vorbei die Zeiten des 19. Jahrhunderts, in denen Russen und Türken gleich mehrere Kriege um die Schwarz-Meer-Region ausfochten.
Und immer wieder Gas: "Turkstream"
Das liegt vor allem an gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen nördlich und südlich des Meeres. Denn ökonomisch ist Ankara Russland näher als es der Nato und EU recht ist. "Turkstream" wird Ende 2019 in Betrieb gehen, das haben Putin und Erdogan vergangene Woche vereinbart. Dann fließt das lukrative Gas mitten durch das Schwarze Meer, aber vorbei an der Ukraine. Gewaltige Durchleitungsgebühren fehlen dann Kiew in der Staatskasse - auch den wirtschaftlichen Würgegriff Russlands spürt die Ukraine zunehmend fester.
Profiteure davon wären Bulgarien, Serbien, Ungarn und die Slowakei, die das Gas dann ab 2020 vom Bosporus weiter nach Mitteleuropa über Land durchleiten sollen - noch wird verhandelt. Auch das macht die Südostflanke der Nato eher weich.
Die Ukraine: isoliert und schwach
Die Ukraine geht aus all dem geschwächt hervor. Mehr als Solidarität kann die Poroschenko-Regierung von EU und Nato nicht erwarten. Seine Forderung gegenüber Bundeskanzlerin Angela Merkel, Kriegsschiffe vor die Halbinsel Krim zu entsenden, hat kaum Aussicht auf Umsetzung. Das Land ist kein Nato-Mitglied und die Allianz hat es mit einer Aufnahme des Hochrisiko-Landes nicht eilig.
Die Ukraine, im Donbass militärisch gebunden und durch den Krim-Verlust geschwächt, bleibt vorerst im Osten isoliert. Wenn auch Russlands Vorgehen auf der Krim und zuletzt im Asowschen Meer völkerrechtswidrig war, ist die Ukraine militärisch zu schwach, um ihr Recht durchzusetzen.
Am Rande der EU: Kein gemeinsamer Kulturraum
Der Schwarz-Meer-Raum ist - anders als der Mittelmeerraum oder das Baltikum - keine historisch-kulturell homogene Region. Im Kalten Krieg verlief hier die Grenze zwischen Ost und West. Heute treffen sich - buchstäblich mitten auf hoher See - gleich drei Mächte: Russland, die Türkei und "der Westen". Und wieder geht es nicht um die Harmonisierung, sondern um die Stabilisierung von Einflusszonen. Eine Ausgangslage für Konflikte.
Wenn am 4. und 5. Dezember die Nato-Außenminister in Brüssel zusammenkommen, wird der Schwarz-Meer-Konflikt ein Thema sein. Ob die Antwort auf den russischen "Vormarsch" an der Nato-Südostflanke konkreter ausfallen wird, als eine Aufstockung von "Präsenztagen" der Nato-Marineverbände im Schwarzen Meer, ist eher zweifelhaft.