Stuttgart 21 - weiter Ärger
26. Februar 2013Das war die Vision: Schnellzüge fahren mit Höchstgeschwindigkeiten zwischen 250 und 300 Kilometern pro Stunde von Paris bis nach Budapest. Einmal quer durch Europa. Am Knotenpunkt, dem Stuttgarter Hauptbahnhof, wenden die Züge nicht mehr umständlich. Der altmodische Kopfbahnhof wird zu einem modernen Durchgangsbahnhof umgebaut. Ein schnelles Hindurchfahren wird möglich. In Deutschland entstehen durch die Baumaßnahme weitere schnelle Zugverbindungen, die die bisherigen Fahrzeiten halbieren. Der Bahnhof Stuttgart wird unter die Erde verlegt. Die vielen Gleise vor dem Bahnhof verschwinden und ein neues, attraktives Stadtviertel entsteht. Dringend benötigter Wohnraum in der Stadt für Hunderte Familien und rund 10.000 neue Arbeitsplätze werden dauerhaft gesichert. Bei "Stuttgart21" sollte es um weit mehr als den Umbau eines Bahnhofs gehen. Es war ein Gesamtkonzept.
Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnete "Stuttgart 21" als Vorzeigeprojekt einer modernern, leistungsfähigen Industrienation und machte damit deutlich: Es darf nicht scheitern. Das Bauvorhaben der Bahn heißt übrigens so, weil man es bis zum Jahr 2021 fertig gestellt haben wollte. Doch davon scheint man immer weiter entfernt. Zum einen sprechen Gutachten von Schwierigkeiten, noch im Vorfeld der Bauarbeiten. Gestein erweist sich als zu hart, Grundwassermanagement und Brandschutz sind so gefährdet. Das Hauptproblem aber ist die Finanzierung des gigantischen Projekts. Was vor 20 Jahren in ersten Planungen etwa zwei Milliarden Euro kosten sollte, wird jetzt von der Bahn auf rund sieben Milliarden Euro geschätzt.
Finanzierung unsicher
Im Bundesverkehrsministerium regte sich deshalb zuletzt Unmut. Angebliche Ausstiegspläne gelangten an die Öffentlichkeit. Doch Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer beschwichtigte sofort, es handele sich nur um Einzelmeinungen der untersten Arbeitsebene. Der CSU-Politiker weiß, ein Rückzug des Bundes wäre ein schlimmes Signal. Denn der größte Anteilseigner der Bahn ist in Deutschland nach wie vor der Staat. Er müsste das Projekt hauptsächlich bezahlen. Daneben wären noch das Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart für die Finanzierung zuständig.
Der Ministerpräsident Baden Württembergs, Winfried Kretschmann, stellt dazu unmissverständlich klar: " Wir werden uns an Mehrkosten nicht beteiligen." Kretschmann ist der erste Ministerpräsident in Deutschland, der der Partei "Bündnis90/DieGrünen" angehört. Die Grünen hatten die konservative CDU abgelöst, die 58 Jahre in Baden Württemberg allein regierte und auch das Projekt "Stuttgart 21" immer wieder vorantrieb. Bei der Landtagswahl im Jahr 2011 spielte das Bahnprojekt eine große Rolle. Viele Menschen waren nicht damit einverstanden, was vermeintlich über ihre Köpfe hinweg mit Steuergeldern geplant wurde. Tatsächlich wurden im Rahmen der Bauplanungen und der damit verbundenen Anhörungen rund 11.500 Einwendungen von Bürgern bei der Bahn berücksichtigt. Aber als die ersten Bäume rund um den Bahnhof gefällt wurden, eskalierte der Streit. Tausende, sogenannte "Wutbürger" protestierten. Sie bezweifelten die von der Bahn vorgetragenen Vorteile des Bauprojekts. Als der damalige CDU-Ministerpräsident Stefan Mappus Wasserwerfer gegen protestierende Schüler und Rentner einsetzen ließ, schaute auf einmal die ganze Welt verwundert nach Stuttgart. Doch trotz der Proteste und des Regierungswechsels bestätigte eine Befragung aller Bürger Baden-Württembergs im Jahr 2011, dass eine Mehrheit das Vorhaben "Stuttgart21" befürwortete. Immerhin 58 Prozent waren es damals.
Stimmungsumschwung in der Bevölkerung
Diese Zustimmung hing mit einer aufwendigen Aufklärungskampagne in allen Medien über das gesamte Projekt "Stuttgart21" zusammen. Über Wochen setzte sich ein Schlichter für eine sachliche Diskussion ein. Vor allem hatte die Geschäftsleitung der Bahn damals versprochen, die Bauprobleme in den Griff zu bekommen und die Kosten von 4,5 Milliarden Euro einzuhalten.
Jetzt allerdings meldete der Bahnvorstand einen Mehrbedarf von rund zwei Milliarden Euro an. Die Grünen, die auch im Kreis Stuttgart und im Gemeinderat der Stadt regieren, wollen für diese zusätzlichen Kosten nicht aufkommen. "Es gibt keinen Überblick über die Kostensteigerungen", bemängelt Petra Rühle, die Kreisvorsitzende der Grünen gegenüber der DW. "Das Projekt zeigt, es ist eine Fehlplanung. Die Bahn stößt überall auf Probleme, die sie nicht lösen kann", sagt Peter Pätzold, einer der Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Gemeinderat Stuttgart. Dort wurde übrigens vereinbart, dass bei weiteren Kostensteigerungen auf jeden Fall wieder die Bürger befragt werden müssen, ob sie das Projekt noch wollen.
Die Grünen bezweifeln, dass sich noch Mehrheiten in der Bevölkerung für das Bahnprojekt finden lassen und sprechen von einer riesigen Vertrauenskrise. Zeitungen und Fernsehsender gaben eigene Umfragen in Auftrag. Nach einer Umfrage der Zeitung "TAZ" sprechen sich im Februar 2013 inzwischen 54 Prozent gegen und nur noch 39 Prozent für das Verkehrsinfrastrukturprojekt aus.
Ausstiegszenarien
Am 5. März wird im Aufsichtsrat der Bahn verhandelt, wie es weitergehen könnte. Bahnchef Rüdiger Grube erklärte im Vorfeld, dass man notfalls vor Gericht ziehen wolle, wenn sich Bund, Land und Stadt nicht an den Mehrkosten beteiligen wollten. Vorgerechnet wird, dass der geplante Bau günstiger wäre, als das gesamte Projekt einzustellen. Dann wären zwei Milliarden Euro ausgegeben, ohne dass man etwas für dieses Geld bekommen hätte.
Auch deshalb wünschen sich Petra Rühle und Peter Pätzold von den regierenden Grünen in Stuttgart: Der Bahnhof soll zwar modernisiert, aber nicht unter die Erde verlegt werden. Doch Professor Karl Dieter Bodack, selbst früher Bahnmanager, bezweifelt, dass sich die Bahn auf einen solchen Kompromiss einlassen wird. Die Bahn habe schon in der Vergangenheit kostengünstigere Varianten nicht aufgegriffen. "Die machen deshalb nichts, weil die kompletten Baukosten vom Bund getragen werden", so Bodack. Ob das politische Prestigeobjekt "Stuttgart21" die Bundestagswahl im kommenden Herbst mitentscheiden wird, dazu wagt in diesen Tagen auch er keine Prognose.