Stuttgarter hoffen auf Welterbe-Titel
12. Juli 2016Unter Architekturfans sind sie längst kein Geheimtipp mehr: die beiden Le Corbusier-Wohnhäuser der Weißenhofsiedlung in Stuttgart. Während die anderen Siedlungshäuser bewohnt sind, ist 2002 im Doppelhaus von Le Corbusier ein Museum eingezogen. Es zeigt originalgetreu, wie der Architekt der Moderne das Wohnhaus 1927 gedacht hat. Im vergangenen Jahr zog die Ausstellung damit über 26.000 Besucher an. Elf Prozent mehr als 2014, das ebenfalls schon ein Rekordjahr war, so Museumsdirektorin Anja Krämer. Noch mehr Aufmerksamkeit für ihr Museum erhofft sie sich vom Welterbe-Titel: "Er ist eine Chance, neben Architekturfans auch Besucher zu gewinnen, die sich nur am Rande für Baugeschichte und Design der späten 1920er Jahre interessieren."
Vom Jugendstil zur "Wohnmaschine"
Für den Welterbe-Titel engagiert sich die Stadt Stuttgart zusammen mit der deutschen UNESCO-Kommission seit 2002. Le Corbusier und 16 namhafte Architektenkollegen wie Walter Gropius und Mies van der Rohe bauten auf dem Stuttgarter Killesberg Musterhäuser für ein modernes Leben. Das war 1927. Ihr Credo: Schluss mit Schnörkel, Erker und der Architektur des Jugendstils, her mit Luft, Licht und Funktionalität. Mit der Weißenhofsiedlung in Stuttgart gelang ihnen nicht weniger als die Neudefinition der Architektur der Moderne für Deutschland.
Ein Einfamilien- und das Doppelhaus von Le Corbusier sind Ikonen der Baugeschichte geworden. In Stuttgart setzte er erstmals seine fünf Punkte einer neuen Architektur durch, die ihn später zu einem der bedeutendsten Architekten der Internationalen Moderne machten: Es gibt industriell gefertigte Langfenster, statt massiver Mauern wählt er ein Gerippe aus Stahlbetonpfosten als tragende Konstruktion. Konsequent setzt er auf das Flachdach mit einer Dachterrasse als eigenständigem, begrünten Geschoss.
Im Inneren des Hauses ermöglichen Schiebetüren und einfach umzustellendes Mobiliar, den Lebensraum abwechselnd auf Tages- und Nachtfunktionen auszurichten. Das Heim als praktische, funktionale "Wohnmaschine", in Serie für die Massen herstellbar. Es war eine radikale Ästhetik, die hochfunktionelles Wohnen statt traditioneller Bürgerlichkeit wollte. "Die beiden Gebäude implizierten damit eine Lebensweise, die lebhafte Kontroversen hervorrief", so Herbert Medek, Leiter der kommunalen Denkmalschutzbehörde in Stuttgart.
Dritter Anlauf zum Welterbe
Le Corbusier starb 1965. Le Corbusier war sein Künstlername, eigentlich hieß er Charles-Édouard Jeanneret-Gris. Der gebürtige Schweizer gilt heute als einer der einflussreichsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Nicht nur in Deutschland, sondern auf vier Kontinenten stehen seine Bauten. Der UNESCO-Antrag Deutschlands ist daher Teil eines gemeinschaftlichen, internationalen Antrags. Er versammelt 17 Le Corbusier-Bauten aus Deutschland, Frankreich, Argentinien, Japan, Belgien, der Schweiz und Indien auf der aktuellen Nominierungsliste der UNESCO.
Sie alle kämpfen mit den Herausforderungen, die diese Bewerbung mit sich bringt. Denn nach zwei zurückgewiesenen Versuchen 2009 und 2011 treten sie zum dritten Mal an. "Es geht um den außergewöhnlichen universellen Wert der Werke von Le Corbusier für die Architektur des 20. Jahrhunderts, der stärker herausgestellt werden sollte", so Katja Römer, Sprecherin der deutschen UNESCO-Kommission.
Mal gab es grundsätzliche Zweifel am Antrag, der auf eine Werkserie statt singuläre Denkmäler setzte. Mal war der bauliche Erhaltungszustand einzelner Gebäude kritisch. Auch wie die Länder mit den Stätten umgehen wollten, überzeugte das Welterbe-Komitee bislang nicht.
Entscheidung des Welterbe-Komitees offen
2016 nun gehen die Antragsteller mit einer grundlegend überarbeiteten Nominierung ins Rennen: "Die 17 Stätten wurden ausgewählt, weil sie Architekturgeschichte über ein halbes Jahrhundert in einzigartiger Weise reflektieren", so Römer. Symbolisch stünden sie für einige der zentralen Konzepte moderner Architektur auf globaler Ebene. Als förderlich für den Erfolg wird auch die erstmalige Teilnahme Indiens angesehen - ein weiterer, außereuropäischer Staat", gibt Medek von der Stuttgarter Denkmalschutzbehörde seiner Hoffnung Ausdruck.
Der überarbeitete, internationale Gemeinschaftsantrag hat den Internationalen Denkmalrat ICOMOS überzeugt. Er hat seine Empfehlung ausgesprochen, die Kandidaten in die UNESCO-Liste des Erbes der Menschheit aufzunehmen. Das wird als positives Vorzeichen gewertet.
Doch das UNESCO-Welterbe-Komitee ist unabhängig vom Votum des ICOMOS. Und damit bleibt es spannend, ob Deutschland sich bald mit einer 41. Welterbestätte schmücken darf. Bis zum 17. Juli wird die UNESCO darüber in Istanbul entscheiden.