Krieg gegen das eigene Volk
11. August 2012Im Schatten eines großen Baumes stehen einige grob gehauene Holzbänke. Darauf sitzen an diesem Samstagvormittag die Mitglieder des Kirchenchores der Katholischen Gemeinde von Gidel. Sie proben für den Gottesdienst, der am nächsten Tag gehalten werden soll. Gidel liegt in den Nuba-Bergen im Sudan, nicht weit von der Grenze zum Südsudan entfernt. Die jungen Männer und Frauen singen konzentriert, verfolgen jede Geste ihres Dirigenten. Ausnahmsweise richten sie ihre Blicke einmal nicht gen Himmel, so aufmerksam sind sie bei der Sache. Sonst suchen ihre Augen ständig nach Flugzeugen, nach Kampfjets vom Typ MiG-29, und nach Antonow-Transportflugzeugen. Bereits seit mehr als einem Jahr ist in den Nuba-Bergen wieder Krieg. Omar al-Bashir, der Präsident des Sudan, lässt seine Luftwaffe Angriffe gegen die eigene Bevölkerung fliegen. Der Grund: Die Region wird kontrolliert von der Oppositionspartei "Befreiungsbewegung des Sudanesischen Volkes", der SPLM-Nord. Anlass war das Ergebnis einer Gouverneurswahl im Juni 2011, bei der der Kandidat des Nordens überraschend gegen den polulären Kandidaten der SPLM gewann. Das Erleben des ständigen Terrors erklärt die Inbrunst, mit der die Mitglieder des Kirchenchores jetzt vom Frieden Gottes singen - vom Frieden auf Erden wagen sie noch nicht einmal zu träumen.
Fliehen vor den Bomben
Barabas Kuku ist Vertreter der Rebellenregierung in Gidel, die von der SPLM-Nord gestellt wird. Er versuche, "einige der Probleme der Menschen hier zu lösen", sagt der junge Mann in einem Gespräch in der Hütte, in der sein Schreibtisch steht. "Viele wollen nach Yida fliehen, kurz hinter die Grenze des Südsudan. Andere wollen noch weiter nach Süden. Oder nach Kenia, oder ganz woanders hin." Ohne die Papiere, die Barabas Kuku unterschreibt, werden sie an den vielen Straßensperren von den Rebellen aufgehalten und zurückgeschickt.
Seit Monaten fliehen die Menschen zu Tausenden, weil das Überleben in den Nuba-Bergen kaum noch möglich ist. Die Bomberpiloten scheinen bewusst auf die Menschen zu zielen, die an Brunnen für Wasser anstehen oder die Rinderherden hüten. Jedenfalls sind unter den Opfern der Luftangriffe auffällig viele Frauen und Kinder, die an Brunnen oder bei den Herden getroffen wurden. Weil auch Männer und Frauen bei der Feldarbeit immer wieder von Bomben verletzt und getötet werden, wagt kaum noch einer, seinen Acker zu bestellen. Die Bevölkerung hungert, internationale Hilfe ist kaum möglich: Präsident al Bashir hat die einzige Straße geschlossen, die vom Nordsudan aus in die Berge führt. Er verhindert so jede humanitäre Hilfe. Ohnehin sind fast alle Organisationen vor dem Bomben-Terror geflohen.
Überfülltes Krankenhaus
Geblieben sind einige Priester und Nonnen verschiedener Orden und der zuständigen Diözese von El Obeid im Sudan. Die Diözese unterhält in Gidel auch ein Krankenhaus. Dicht an dicht stehen dort die Betten. 300 sind es in einem Haus, das eigentlich für 80 gebaut wurde. In einem der Betten liegt Malda, 22 Jahre alt. Ihr Gesicht, ihre Arme und Beine sind schwer verbrannt. "Ich wurde von einer Bombe getroffen", sagt sie, wobei sie offensichtlich versucht, die Gesichtsmuskeln so wenig wie möglich zu bewegen. "Ich war in meiner Hütte, als das Flugzeug kam. Mit meinen Kindern habe ich noch versucht, irgendwo in Deckung zu gehen. Aber es war zu spät." Ihre beiden Kinder waren sofort tot. Ebenso eine weitere Frau, die gemeinsam mit ihnen vergeblich Schutz gesucht hatte.
Was verursacht die schweren Brandwunden?
An Maldas Bett steht jetzt der US-amerikanische Arzt Tom Catena. Er ist einer der wenigen Ausländer, die trotz des Bombenterrors geblieben sind. In jüngster Zeit habe er mehrere Patienten mit denselben furchtbaren Verbrennungen behandelt, wie auch Malda sie hat. Der Arzt ist davon überzeugt, dass es sich bei diesen Brandbomben nicht um konventionelle Waffen handelt. "Wenn das kein Napalm ist, dann ist es etwas Ähnliches", sagt er. "Vielleicht handelt es sich um irgendeinen Zusatzstoff zu Benzin, der bewirkt, dass es einen riesigen Feuerball gibt, wenn die Bombe explodiert." Nur so kann er sich die furchtbaren Verbrennungen erklären, die bei allen Patienten einheitliche Muster aufweisen: Immer sind das Gesicht, beide Arme, beide Beine und der Rücken verbrannt.
In einem Bett auf der Kinderstation liegt der achtjährige Cholda, auch er ist über und über mit Brandwunden dritten Grades bedeckt: Die Haut ist weg, nur rohes Fleisch ist zu sehen.
Andere Bombenopfer sind die neunjährige Djamila, die querschnittsgelähmt ist, seit sie am Brunnen von einem Bombensplitter getroffen wurde. Und der 15-jährige Daniel Omar, der beim Rinder-Hüten getroffen wurde und beide Arme verlor. Allesamt Zivilisten, und es gibt viele wie sie: Opfer eines Krieges, der reiner Terror gegen die Bevölkerung ist.