Wer beerbt Boris Johnson?
21. Juli 2022Das britische Parlament geht in die Sommerpause und der bittere Kampf um die Nachfolge von Boris Johnson bei den Tories in die Endrunde. Es entscheiden rund 150.000 Parteimitglieder, doch sie sind wenig repräsentativ: Es handelt sich überwiegend um weiße Männer über 65 Jahre im wohlhabenden Süden Englands. Die Kandidatin und der Kandidat haben nur ein paar Wochen Zeit, um sie zu überzeugen, denn am 5. September wird das Ergebnis bekannt gegeben. Gefragt sind jetzt waschechte Konservative, die alles anders machen als der gestürzte Premier, jedenfalls was Ehrlichkeit und Gesetzestreue betrifft. Andererseits werden harte Brexiteers gewünscht, Steuersenker und potentielle Wahlsieger - wie Boris Johnson. Gekämpft wird mit harten Bandagen, Intrigen und Enthüllungen. Alles ist erlaubt bei diesem Kampf mit dem politischen Gegner aus dem eigenen Lager.
Rishi Sunak, der reiche Königsmörder
Es war der Rücktritt von Finanzminister Rishi Sunak, der Anfang Juli den Sturz von Premier Johnson ausgelöst und das Signal für die Auflösung seines Kabinetts gegeben hatte. Und gerade das wirkt jetzt gegen ihn - dem Königsmörder wird seine Tat in der Regel übelgenommen. Zudem zeigt der sentimentale Abschied von Johnson im Unterhaus in dieser Woche, dass die Tories trotz endloser Skandale weiter an dem Mann mit der blonden Zottelfrisur, seinem überbordenden Optimismus und seinen Brandreden hängen.
Rishi Sunak erscheint dagegen mehr als traditioneller Politiker, gut gescheitelt und verantwortungsbewusst. Der Sohn aus wohlhabender, indisch-stämmiger Familie schielt schon länger auf das Premierministeramt. Jedenfalls lag seine Kampagne "Ready4Rishi" bereits fertig in der Schublade, als der Kampf um die Nachfolge begann, und wirkte beinahe zu professionell und glatt produziert. Der 42-Jährige hat sein eigenes Vermögen am Finanzmarkt verdient und ist zudem mit einer Tochter aus einer indischen Milliardärs-Familie verheiratet. Geld spielt in dieser Familie wirklich keine Rolle.
Nun sind die Tories durchaus für Reichtum, erwarten von ihren Politikern aber zumindest vorgetäuschte Bescheidenheit und Bürgernähe. Dabei greift Rishi Sunak öfter mal daneben: Zuletzt, als er über 500 Euro teure italienische Schuhe zu einer Baustellenbesichtigung trug oder als er im Frühjahr mit dem geliehenen Kleinwagen eines Supermarktangestellten an einer Zapfsäule posierte, um den Tankrabatt der Regierung zu propagieren. Die Versuche des Oxford-Absolventen, sich als Mann des Volkes zu zeigen, der versteht, wie hart Inflation und steigende Energiepreise britische Familien treffen, sind oft ein Schlag ins Wasser. Und dass seine Frau in Großbritannien, wie viele unter den Superreichen, nur begrenzt Steuern gezahlt hat, ist auch nicht gerade hilfreich.
Seine Unterstützer dagegen loben Rishi Sunaks seriöse Finanzpolitik. Er will derzeit die Staatsschulden stabil halten und keine Steuersenkungen versprechen, die nicht gegenfinanziert sind. Da aber nach zwölf Jahren konservativer Regierung mit tiefen Einschnitten in öffentliche Ausgaben und einem unterfinanzierten Gesundheitswesen kaum Raum für weitere Einsparungen besteht, außerdem Gehaltserhöhungen im öffentlichen Dienst anstehen und eine Inflationsrate von elf Prozent erwartet wird, mahnt Sunak zur Vorsicht. Er ist der Kandidat für diejenigen unter den Tories, die von ihren Politikern Seriosität und eine gewisse Langweiligkeit erwarten, ein Anti-Modell zu Showmaster Boris Johnson.
Liz Truss, die konservative Nostalgikerin
Außenministerin Liz Truss hat im Gegensatz zu ihrem Konkurrenten bis zuletzt an der Seite von Boris Johnson im Kabinett ausgeharrt. Dass sie keinen Verrat beging, rechnen ihr Johnsons Anhänger bei den Tories hoch an und verschaffen der 46-Jährigen in den parteiinternen Umfragen derzeit einen deutlichen Vorsprung. Andererseits hat auch sie schon längst ihren Ehrgeiz demonstriert. Seit Monaten amüsierte sie die Briten mit professionell gestylten Fotos: Liz Truss mit Pelzmütze auf dem Roten Platz in Moskau oder in Militärmontur im Ausguck eines Panzers. Sogar Konservativen ging diese optische Nähe zu Margret Thatcher ein bisschen zu weit.
Truss lässt nichts aus, um ihre Glaubwürdigkeit bei der Parteibasis zu fördern. Sie verspricht Steuersenkungen von 30 Milliarden Pfund und behauptet, sie würden sich selbst finanzieren, weil sie das Wachstum ankurbelten. Das entspricht ganz den Glaubenssätzen der Tories, die sich als Partei niedriger Steuern und als Gegner staatlicher Eingriffen verstehen. Damit erfüllt Truss die Träume vieler, die sich eine Rückkehr zu den Idealen aus der Regierungszeit von Margret Thatcher wünschen. Liz Truss ist die Kandidatin für die Nostalgiker unter den Tories.
Neben dieser sorgfältigen Positionierung als konservative Musterfrau gibt es allerdings einige Negativposten. Liz Truss ist keinesfalls eingefleischtes Tory-Mitglied, denn sie war in jüngerem Jahren Anhängerin der liberalen Partei. Und noch schlimmer: Im Kampf um den Brexit bekannte sie sich zur EU-Mitgliedschaft. Das führt dazu, dass sie sich inzwischen als besonders rabiate Brexit-Anhängerin gibt und ihre damalige Politik als Fehler bezeichnet. Denn nur die härtesten Brexiteers haben in der Partei eine Chance.
Ihre Gegner jedoch machen Zweifel an ihrer Kompetenz geltend und verweisen etwa auf eine Parteitagsrede von 2014, in der Truss versprach, sie werde auf ihrer Chinareise "Schweinefleischmärkte" eröffnen und zugleich den Briten vorwarf, sie würden zu viel importierten Käse essen. Der Auftritt wurde zu einem großen Comedy-Erfolg. Und die Liste bizarrer Fehlleistungen ist noch länger: So forderte die Außenministerin nach dem Kriegsausbruch in der Ukraine britische Freiwillige auf, dort für die Demokratie zu kämpfen. Nachdem der Verteidigungsminister Einspruch erhob, musste sie zurückrudern. Mitarbeiter von Liz Truss sollen sie hinter vorgehaltener Hand schon mal als "menschliche Handgranate" bezeichnen. Wo sie auftauche, schaffe sie Chaos, sagen ihre Gegner. Ihre Unterstützer dagegen behaupten, sie sei effektiv und durchschlagskräftig wie ein Geschoss. Über die richtige Auslegung müssen jetzt die Mitglieder der konservativen Partei entscheiden.