Syrien: Enteignung als Strafe?
27. April 2018Rami Makhlouf dürfte die nächsten Jahre hinreichend zu tun haben. Die von ihm geleitete private Holding Damascus Shams leitet den Wiederaufbau der südlichen Vororte von Damaskus. Der Cousin von Hafez al-Assad, dem Vater von Baschar al-Assad, einer der reichsten Männer des Landes, ist damit verantwortlich für den Bau von rund 12 000 Wohnungseinheiten der gehobenen Klasse, die in dem Viertel entstehen sollen.
Die Rechte und Ansprüche der Besitzer der durch den Krieg zerstörten Häuser und Wohnungen dürften ihm und seinem Unternehmen nur wenig Sorgen bereiten: Viele Eigentümer dürften kaum in der Lage sein, ihre Besitzrechte zu dokumentieren.
Möglich gemacht hat den Neubau und die mit ihm verbundene faktische Enteignung das neue Gesetz Nr. 10, erlassen am 2. April dieses Jahres. Es sieht vor, in jedem Bezirk Ämter für den Wiederaufbau zu schaffen. Nachdem dort neue Bebauungspläne erstellt worden sind, sind die Besitzer von Land, Häusern und Wohnungen aufgerufen, ihre Eigentumsrechte bei dem Amt nachweisen. Dafür haben sie 30 Tage Zeit.
Eigentumsnachweis oft kaum zu erbringen
Das Problem ist aber: Viele derer, die nun die Enteignung ihres Besitzes fürchten müssen, haben das Land verlassen. Sie haben gar nicht die Möglichkeit, innerhalb der 30-Tage-Frist nach Syrien zurückzukehren. Auch haben sie oft keine Verwandten mehr im Land, die an ihrer Stelle die entsprechenden Behördengänge erledigen könnten.
Hinzu kommt, dass viele Papiere, die die Eigentumsverhältnisse dokumentieren, im Krieg zerstört worden oder verloren gegangen sind. Selbst wenn sie vor Ort wären, könnten die Betroffenen ihre Ansprüche also gar nicht belegen. Einer Schätzung der Vereinten Nationen zufolge besitzen nur neun Prozent der im Ausland lebenden syrischen Flüchtlinge entsprechende Dokumente, berichtet die französische Zeitung Le Monde.
Angst vor den Sicherheitsbehörden
Viele Eigentümer stehen vor einem weiteren Hindernis: Sie müssen sich zunächst von den syrischen Sicherheitsbehörden überprüfen lassen. Gerade für Oppositionelle ist das ein Grund, nicht auf ihren Eigentumsansprüchen zu bestehen. "Niemand, der vor Assad geflüchtet ist, dürfte den Mut haben, nach Syrien zurückzugehen", sagt der syrischstämmige Journalist Samir Matar aus der arabischen Redaktion der Deutschen Welle. "Das könnte seine potentielle Festnahme bedeuten."
Hinzu kommt, dass sich in vielen der betroffenen Gebiete jene - überwiegend sunnitischen - Bevölkerungsteile konzentrieren, die dem Assad-Regime traditionell kritisch bis ablehnend gegenüberstehen. Sie waren es auch, die sich im Jahr 2011 oft sehr zügig den Aufständischen anschlossen.
"Politisch gesehen ist das Gesetz eine Art Strafe für diejenigen, die protestiert haben", sagt Samir Matar. "Assad gibt seinen Gegnern zu verstehen, dass die Enteignungen die Konsequenzen ihres Protestes sind. Auf diese Weise erteilt er seinen Gegnern eine Lehre. Wer sich gegen ihn erhebt, so die Botschaft, muss mit Konsequenzen rechnen. Das kann so weit gehen, dass er sogar sein Haus verliert."
Erzwungener Verkauf unter Wert
Doch selbst wenn sie ihre Ansprüche durchsetzen könnten und eine Entschädigung erhielten, wäre den Eigentümern nur wenig geholfen. Das Gesetz sieht vor, dass die Grundstücke nach dem Wert bemessen werden, den sie hatten, bevor sie in das neue Entwicklungsprogramm integriert wurden. Angesichts des Umstandes, dass dort, wo bislang informelle Bauten vorherrschten, nun Unterkünfte gehobenen Stils entstehen sollen, bedeutet dies für die ehemaligen Eigentümer einen massiven Wertverlust. Die Preissteigerung, die ihr Immobilienbesitz erfahren wird, geht an ihnen vorbei. Unternehmen wie das von Rami Makhlouf kaufen den Baugrund auf diese Weise sehr günstig, um ihn nach Fertigstellung der neuen Wohnungen zu viel höheren Preisen zu verkaufen.
Das Geld, das auf diese Weise verdient wird, dürfte, sofern es nicht in private Taschen fließt, das Assad-Regime ökonomisch zumindest etwas stärken und ihm dabei helfen, sich beim Wiederaufbau unabhängig von westlicher Unterstützung zu machen. Die ist mit Auflagen verbunden, etwa dem Schutz von Minderheiten und Anhängern der Opposition.
Das Regime belohnt seine Anhänger
Zugleich dürfte die Enteignung Assad die Möglichkeit geben, die Dienste seiner politischen und militärischen Unterstützer zu honorieren. "Die Immobilien werden enteignet - aber nicht, um bei den lokalen Behörden zu verbleiben. Stattdessen werden sie an dem Regime nahestehende Geschäftsleute transferiert", schreibt Jihad Yazigi, Chefredakteur des ökonomischen Informationsdienstes Syria Report. Ähnlich sieht es der syrische Menschenrechtsaktivist Michel Chammas. "Das neue Gesetz erlaubt es dem Regime, mit dem Wiederaufbau Geschäftsleute mit guten Beziehungen zum Machtzentrum zu betrauen, seien es Syrer, Iraner oder Russen", sagt Chammas gegenüber der Internetzeitung L´Orient le jour.
"Eine Kollektivstrafe"
Zugleich dürfte ihm das Gesetz dabei helfen, gerade in den traditionell oppositionellen Gebieten erheblich demographische und damit politische Veränderungen umzusetzen. In die neuen Wohngebiete dürften vor allem Anhänger Assads und loyale Bevölkerungsgruppen einziehen, vermutet Matar. Im Wesentlichen dürften das Alaviten und Christen sein, weniger jedoch Mitglieder der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit. Die klassischen Widerstandsnester gäbe es dann nicht mehr - Assad wäre eines seiner größten Probleme los. "Gerade in den politisch kritischen Gebieten sichert sich Assad so neue Mehrheiten", sagt Matar.
Zu den Geschädigten der neuen Gesetzgebung gehört auch der DW-Journalist Sami Al-Habbal. Seine Familie besitze ein Haus in der Nähe von Damaskus. "Derzeit können wir aber nicht nachweisen, dass wir die Eigentümer sind. Denn wir gehören zur Opposition, weshalb es zu riskant ist, nach Damaskus zu reisen. Aus unserer Sicht handelt es sich bei dem Gesetz um eine Kollektivstrafe gegen die gesamte Opposition." Dagegen hat auch die deutsche Bundesregierung in ungewöhnlich scharfer Form protestiert. Deutschland beherbergt mehrere hunderttausend syrische Flüchtlinge.