Zwischen Engagement und Extremismus
21. März 2014Ob jung oder alt: Wer kann, der verlässt Syrien. Mitte März erreichte die 107-jährige Syrerin Sabria Khalaf Deutschland. Khalaf gehört zur verfolgten Religionsgemeinschaft der Jesiden. Mehr als sechs Monate war sie gemeinsam mit einem ihrer Söhne auf der Flucht. Jetzt hofft sie auf Asyl in der Bundesrepublik. Sie wolle im Kreis ihrer Familie sterben, erklärte Khalaf.
Inzwischen sind mehr als 40 Prozent der syrischen Bevölkerung auf der Flucht. Doch Sabria Khalaf ist eine Ausnahme - die wenigsten Flüchtlinge erreichen Deutschland. Die ganz große Mehrheit der Menschen hat nicht die Mittel, Syrien zu verlassen. Sie versuchen, irgendwo im Land Schutz vor dem Bürgerkrieg zu finden. Es gibt mittlerweile rund 6,5 Millionen Binnenflüchtlinge.
Die Profis
Wer es doch ins Ausland schafft, landet in der Regel in den Nachbarländern. Rund 2,5 Millionen Syrer leben mittlerweile im Libanon, der Türkei, in Jordanien oder im Irak. "Der Großteil der Flüchtlinge findet notdürftig Zuflucht in Bauruinen, leerstehenden Wohnungen, Garagen oder Ställen. Die Unterkünfte sind oft in einem sehr schlechten Zustand", erzählt Vera Voss, Leiterin des Büros der Johanniter-Auslandshilfe in Jordanien. Die Johanniter statten die Neuankömmlinge im Libanon oder in Jordanien mit einem Grundbedarf an Matratzen, Decken, Kochgeschirr und Hygieneartikeln aus. Außerdem werden gemeinsam mit lokalen Partnern Notunterkünfte saniert.
Die Johanniter-Auslandshilfe ist Teil des Bündnisses Deutschland Hilft, einer Initiative großer deutscher Hilfsorganisationen. Die meisten sind auch in Syrien oder den Nachbarländern im Einsatz. Neben den großen Hilfsorganisationen gibt es aber auch eine ganze Reihe kleiner Initiativen, die die syrischen Kriegsopfer unterstützen. Viele sind aus dem Engagement einzelner Personen entstanden.
Die Individualisten
Ein Beispiel: Der syrisch-stämmige Marwan Khoury. Der Internist lebt und arbeitet seit Jahren im Süden Deutschlands, in der kleinen Stadt Hof. Eigentlich fühlt sich Khoury sehr wohl in Deutschland. Doch seit Beginn des Syrien-Krieges überdecke das Mitgefühl mit den Menschen in Syrien alle anderen Gefühle: "Mein Herz schlägt syrisch", sagt er.
Deswegen hat Khoury den Verein Barada-Syrienhilfe gegründet. Gemeinsam mit seiner Familie sammelt er Hilfsgüter und Medikamente, die dann in Syrien verteilt werden. Ärzte, Apotheken und Unternehmen aus der Region beteiligen sich an der Hilfe. Auch viele Patienten spenden. Immer wieder bringen die Menschen Pakete mit Hilfsgütern in Khourys Gemeinschaftspraxis. Den letzten Hilfskonvoi mit zwei Lastwagen hat die Organisation Anfang des Jahres nach Syrien gebracht.
Ein weiteres Ziel der "Barada-Syrienhilfe": Bildung für Flüchtlingskinder. In Atmeh, einem Flüchtlingslager im Norden Syriens, haben Khoury und seine Mitstreiter eine Schule für rund 160 Kinder gebaut. Kosten: rund 10.000 Euro, bezahlt aus Spendengeldern. "Manchmal hat man Depressionen", sagt Khoury, "fragt sich warum man das macht". Schließlich gebe es in Syrien rund drei Millionen Kinder, die wegen der Kriegswirren nicht zur Schule gehen. Eine Schule für 160 Kinder sei da nur ein Tropfen auf den heißen Stein. "Aber wir bieten immerhin für einen Teil der Bevölkerung Hilfe an." Khoury hofft, dass die Welt irgendwann aufwacht "und ihre Aufgabe wahrnimmt, die Zivilbevölkerung zu schützen".
Die Extremisten
Es gibt eine ganze Reihe von kleinen deutsch-syrischen Hilfsorganisationen wie die "Barada-Syrienhilfe". Doch nicht alle sind wirklich seriös. Wer im Internet nach Syrien-Hilfsorganisationen sucht, der stößt irgendwann auch auf "Helfen in Not". Ein von Koransuren untermaltes Youtube-Video zeigt wie eine Gruppe bärtiger junger Männer sieben ausgemusterte Krankenwagen nach Syrien bringt. "Jeder Krankenwagen ist randvoll mit Hilfsgütern", erklärt einer der Männer auf Deutsch vor der Kamera. "Diesmal haben wir uns auf Babynahrung, Winterkleidung und Stromgeneratoren konzentriert."
Doch der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz bezweifelt den rein humanitären Charakter der Organisation. Es habe Hinweise gegeben, dass sich einige der Begleiter der Hilfstransporte salafistischen Kämpfern anschließen wollten, erklärte Burkhard Freier, Chef des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes. Daraufhin sei diesen die Ausreise untersagt worden. Bei Benefizveranstaltungen werde um Kämpfer für den Krieg in Syrien geworben. Mitte Februar wurde Sven Lau, ein der Organisation nahestehender islamistischer Prediger, verhaftet. Er soll eine Untergruppe der Al-Kaida nahen Miliz "Islamischer Staat im Irak und der Levante" (ISIL) unterstützt haben. Über eine Hilfsorganisation sollen 6000 Euro an die Dschihadisten geflossen sein.
Geringe Spendenbereitschaft
Wer für die syrischen Kriegsopfer spenden will, der sollte sich also auf jeden Fall vorher gut über die Arbeit der betreffenden Organisation informieren. Doch die Deutschen sind zurückhaltend. "Leider ist das Spendenaufkommen sehr enttäuschend", beklagt Guido Dost, Leiter der Johanniter-Auslandshilfe. Das Aktionsbündnis "Deutschland Hilft" hat seit Mitte 2012 rund drei Millionen Euro für Syrien gesammelt. Zum Vergleich: Nach dem Wirbelsturm "Hayan" auf den Philippinen 2013 spendeten die Deutschen mehr als 30 Millionen Euro. "Wir hoffen inständig", sagt Guido Dost, "dass sich die deutsche Bevölkerung stärker engagiert, um die Not der Syrer zu lindern". Die deutsche Öffentlichkeit und die deutsche Politik, appelliert Horst Köhler, ehemaliger Bundespräsident und Schirmherr der Aktion Deutschland Hilft, dürften nicht die Augen vor der Lage der Syrer verschließen.