Syrien: Scheitert der Zeitplan?
8. Februar 2014Die Zweifel einiger Fachleute haben sich bewahrheitet: Der Zeitplan zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffen, der von der UN und der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) im vergangenen September ausgearbeitet wurde, war zu ambitioniert. Bereits zum 31. Dezember 2013 hätten alle Kampfstoffe aus dem Bürgerkriegsland herausgebracht werden müssen. Dieser Termin verstrich, ohne dass auch nur ein Fass mit Kampfstoffen Syrien verließ.
Die nächste Frist lief am 5. Februar 2014 aus. Bis dahin hätten alle chemischen Vorprodukte zur Herstellung von Kampfstoffen abtransportiert sein müssen. Doch bislang wurden bei zwei Verladeoperationen innerhalb der internationalen Mission "RECSYR" am 7. und 27. Januar im syrischen Hafen von Latakia gerade einmal 18 Container verschifft.
Bislang nur etwa 50 Tonnen verschifft
Anstelle der insgesamt rund 1300 Tonnen sind bislang etwa nur 50 Tonnen verladen worden. Es sind also immer noch etwa 96 Prozent der todbringenden Chemikalien in Syrien. Ginge es in diesem Tempo weiter, wären alle syrischen Kampfstoffe erst in etwa drei Jahren eingeschifft. Dem OPCW-Plan zufolge sollen aber schon bis zum 30. Juni dieses Jahres alle C-Waffen-Bestände vernichtet sein.
Als Ursache für die Verzögerung macht die syrische Regierung die Sicherheitslage in dem Bürgerkriegsland verantwortlich. Aber auch schlechtes Wetter, logistische Probleme und fehlende Ausrüstung hätten den Zeitplan durcheinander gebracht. Mit dieser Begründung fordert Damaskus nun zusätzliche Ausrüstung: Unter anderem Detektoren für Sprengfallen, um die Transportwege durchs Kriegsgebiet zu überprüfen.
Syrien hatte bereits Material für den Transport geliefert bekommen. Etwa von Russland, das beispielsweise Allrad-Laster und gepanzerte Fahrzeuge ins Bürgerkriegsland fliegen ließ. Auch andere Staaten steuern etwas zu dieser bislang einzigartigen Mission bei.
Internationale Kraftanstrengung
Dänemark und Norwegen haben zwei Frachtschiffe vor die syrische Küste geschickt, die in Latakia die C-Waffen und deren Vorprodukte über das Mittelmeer nach Süditalien bringen sollen. Geschützt werden sie von Kriegsschiffen aus Dänemark, Norwegen, Russland, China und Großbritannien. Laut Plan wird im kalabrischen Hafen von Gioia Tauro auf die "Cape Ray" umgeladen. Bis zum 30. Juni sollen in zweiHydrolyseanlagen an Bord des US-Spezialschiffes auf hoher See die meisten der C-Waffen vernichtet werden. Viele Vorprodukte und Abfälle aus dem Zerstörungsprozess werden an Land von mehreren Staaten umweltgerecht entsorgt.
"Alle Vorbereitungen, die von den OPCW-Mitgliedstaaten für diese außergewöhnliche Mission des Abtransports und der Vernichtung der syrischen Chemiewaffen getroffen wurden, sind abgeschlossen", sagte OPCW-Sprecher Michael Luhan der DW.
Kosten steigen
Aber derzeit warten die Schiffe im Mittelmeer nur. Und die Kosten steigen mit jeder weiteren Verzögerung. Gegenüber der DW bezifferte das norwegische Verteidigungsministerium allein die bisherige Charter für eines der beiden Containerschiffe auf umgerechnet knapp fünf Millionen Euro.
Dennoch wählt das norwegische Verteidigungsministerium diplomatische Töne: "Wir sind uns des außergewöhnlichen Charakters der Operation und der schwierigen Sicherheitslage in der Arabischen Republik Syrien bewusst. Wir hoffen, dass alle anderen Parteien weiterhin das gleiche Engagement zeigen. Weitere Verzögerungen sollten vermieden werden."
OPCW mahnt zur Geduld
Die Koordinatorin der Mission, Sigrid Kaag, hält es für unwahrscheinlich, dass die syrische Regierung von Präsident Baschar al-Assad absichtlich den Abtransport der Chemiewaffen verzögert. Das sagte sie jedenfalls Agenturmeldungen zufolge hinter verschlossenen Türen dem UN-Sicherheitsrat am vergangenen Donnerstag (06.02.2014).
OPCW-Sprecher Michael Luhan hält am letztendlichen Datum fest: "Es gibt keine Diskussion oder Anregung, dass der 30. Juni als Termin als Fristende verschoben werden sollte. Nach unserer Einschätzung ist dieser Termin haltbar." Er erinnert daran, dass es einzigartig in der Geschichte sei, Massenvernichtungswaffen aus mehreren Standorten quer durch ein Kriegsgebiet zu fahren.
USA erhöhen Druck
Die Auffassung der OPCW wird nicht von allen geteilt. Die USA erhöhten vor anderthalb Wochen den Druck, als das US-Außenministerium auf seiner Internetseite aus einer Sitzung des OPCW-Exekutivrats Details zum Stand des Abtransports erstmals veröffentlichte. Die US-Botschafterin bei den UN, Samantha Power, legte am vergangenen Donnerstag nach: "Wir wissen, das Regime hat die Fähigkeit, diese Waffen und das Material zu transportieren. Denn sie haben es im Laufe des Konflikt schon mehrfach getan." Deshalb müsse das "Assad-Regime" unverzüglich die notwendigen Schritte unternehmen, seine Verpflichtungen einzuhalten."
Ursachensuche
Kommentatoren mutmaßen, dass Assad die gefährlichen Chemikalien als Faustpfand benutzt: Solange diese in seiner Hand seien, sei er als Verhandlungspartner unersetzlich und gewinne so Zeit, um seine militärische Lage im Bürgerkrieg zu verbessern. Gestützt wird diese Annahme dadurch, dass sich das syrische Militär weigert, spezielle Hangar oder unterirdische Anlagen zu sprengen, in denen ehemals C-Waffen produziert oder gelagert wurden.
Es ist dennoch fraglich, ob die Schuld für die Verzögerung allein bei den Syrern zu suchen ist. Wahrscheinlich haben die OPCW und ihre Planer die Widrigkeiten des Bürgerkriegsszenarios unterschätzt. Offensichtlich ist sowohl der Transport, als auch der Zugang zu den Lagern durch die Frontlinien tatsächlich schwieriger als gedacht. Als Hinweis kann gelten, dass Regierungsdokumenten zufolge eine der insgesamt 23 Lager- und Produktionsstätten für C-Waffen, die das syrische Regime benannt hatte, noch nicht von OPCW-Inspektoren untersucht worden sein soll.
Wichtiger Erfolg der Mission
Fest zu halten bleibt aber, dass der syrischen Armee offenbar bereits jetzt die Fähigkeit genommen wurde, Chemiewaffen einzusetzen. Schon wenige Wochen nach Beginn der Operation im Oktober meldete die OPCW, dass Produktionseinrichtungen, Füllanlagen und Kampfstoffmunition unter Aufsicht ihrer Inspektoren unwiederbringlich zerstört worden seien.