Syriens Kampf gegen Cholera
22. Oktober 2022Zwölf Jahre Krieg, Hunger, Armut, Covid und eine in weiten Teilen des Landes zerstörte Infrastruktur: Jetzt droht Syrien die nächste Katastrophe. Seit Wochen breitet sich Cholera rapide im Nordosten und Nordwesten des Landes aus, besonders betroffen sind die Regionen um Aleppo, Idlib und Al-Hasaka.
Syriens Cholera-Ausbruch wurde das erste Mal am 10. September gemeldet, und bis heute soll es nach Angaben von Caritas International über 15.000 Infektionen geben - Tendenz steigend. Über 60 Menschen sind bereits daran gestorben. Die Gefahr ist groß, dass sich Cholera auf das gesamte Land und auch auf die Nachbarstaaten ausweitet. Im Libanon etwa sind bereits Hunderte Cholera-Fälle in Gebieten nahe der syrischen Grenze gemeldet worden. Dazu kommen erste Fälle aus der Hauptstadt Beirut und anderen Landesteilen. Ebenso sind bereits Fälle im Irak bekannt.
Gesundheitszentren von Ärzte ohne Grenzen
Cholera ist eine akute Magen-Darm-Infektion, die durch Cholera-Bakterien hervorgerufen wird und mit schweren Durchfällen, Erbrechen und Dehydrierung einhergeht; die Ansteckung erfolgt häufig durch kontaminiertes Trinkwasser. "Die Krankheit ist hoch ansteckend und kann sich schnell zu einer Epidemie entwickeln", sagt Lucia Ringtho von Ärzte ohne Grenzen im DW-Interview. Ringtho ist medizinische Beraterin für Syrien.
In der kurdischen Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien hat Ärzte ohne Grenzen gemeinsam mit den örtlichen Gesundheitsbehörden in Rakka ein Cholera-Behandlungszentrum und zwei ambulante Behandlungsstellen am Stadtrand eingerichtet. Auch Caritas Syrien ist in der Region tätig, betreibt Aufklärung und verteilt Mittel zum Schutz vor Infektionen und Tabletten zur Reinigung des Trinkwassers.
Verunreinigtes Trinkwasser und kontaminiertes Gemüse
Caritas Syrien arbeitet aber auch im vom syrischen Regime kontrollierten Aleppo, "Cholera ist auch dort ein großes Thema geworden in den letzten Wochen", sagt Syrien-Länderreferentin Angela Gärtner im Gespräch mit der DW. Im Osten Aleppos sei die Infrastruktur immer noch besonders stark zerstört. Bis Ende 2016/Anfang 2017 war der Osten der Stadt in der Hand verschiedener Rebellengruppen und wurde von Moskau und Damaskus stark bombardiert.
Die Strom- und Wasserversorgung werde dort zwar langsam wieder aufgebaut, aber noch stünde eben nicht jedem Haushalthalt Trinkwasser zur Verfügung, sagt Angela Gärtner. "Die Nahrungsmittelpreise sind in den letzten zwei Jahren zum Teil um 500 Prozent gestiegen. Die Leute können sich kaum noch etwas leisten." Auch sauberes Wasser nicht. "Deswegen greifen sie auf unsichere Wasservorräte zurück und kaufen auch oft kontaminiertes Gemüse."
Den Ursprung des Cholera-Ausbruchs vermuten viele im Euphrat. In den ländlichen Gebieten entlang des Stromes gibt es zwar kleine Wasseraufbereitungsanlagen, doch viele Gemeinden beziehen ihr Haushalts- und Trinkwasser direkt aus dem Fluss oder aus offenen Kanälen. In den Städten führe die zerstörte Infrastruktur zu verunreinigtem Trinkwasser und kontaminierten Nahrungsmitteln, sagt Lucia Ringtho von Ärzte ohne Grenzen.
Das Kinderhilfswerk UNICEF schätzt, dass durch den Krieg zwei Drittel der Wasseraufbereitungsanlagen des Landes, die Hälfte seiner Pumpstationen und ein Drittel seiner Wassertürme beschädigt wurden. In Wohngebieten fehlt vielerorts eine funktionierende Kanalisation. "Das ganze Schmutzwasser fließt also quasi ungefiltert in den Euphrat", sagt Angela Gärtner.
Die meisten Menschen zeigten sich erschüttert, dass der Euphrat, den sie immer für Trinkwasser genutzt haben, plötzlich "kein gutes Wasser mehr" führe, sagt Lucia Ringtho von Ärzte ohne Grenzen hinzu.
Mangelware Wasser in Hasaka
In der Region Hasaka ist man schon immer auf andere Wasserquellen angewiesen gewesen, dort fließt der Euphrat nicht. Auch in Hasaka ist der Wassermangel jetzt groß. Dazu kommt: 2019 haben türkische Einheiten einen Grenzstreifen in Nordostsyrien besetzt, denn Präsident Recep Tayyip Erdogan betrachtet die kurdische Selbstverwaltung im Nordosten als Terrororganisation, die es zu bekämpfen gelte.
Die Türkei kontrolliert dort auch das regionale Wasserwerk; sie habe der lokalen Bevölkerung aber so gut wie den Hahn abgedreht, heißt es. Daher wird in Hasaka zum Beispiel viel Wasser aus Brunnen gewonnen und an die Bevölkerung verteilt.
Besonders dramatisch aber ist die Lage in den Flüchtlingslagern der Binnenflüchtlinge im Nordwesten des Landes in der Region Idlib an der Grenze zur Türkei. Dort teilen sich meist viele Menschen ein Zelt, die hygienischen Bedingungen sind schwierig und sauberes Wasser ist Mangelware. Die Region ist überwiegend unter der Kontrolle islamistischer Milizen der Gruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS), die wiederum aus der Al-Nusra-Front hervorgegangen ist. 26 Cholera-Behandlungszentren sollen im Nordwesten laut UNICEF jetzt eingerichtet werden.
Schlechte medizinische Versorgung
Cholera lässt sich gut behandeln, wenn man es schnell erkennt und Zugang zu medizinischer Behandlung hat, ansonsten kann man bei starker Dehydrierung binnen weniger Stunden sterben. Die Menschen in Syrien seien aufgrund der Corona-Pandemie für solche Themen eigentlich sensibilisiert, sagt Angela Gärtner. Aber: "Das Gesundheitssystem ist nahezu nicht existent, insbesondere in den schwer betroffenen Regionen. Das heißt, wenn Fälle auftauchen, haben die Leute kaum Möglichkeit, schnell medizinisch versorgt zu werden." Impfstoffe gegen Cholera sind derzeit Mangelware.
Immerhin hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) jetzt entschieden, statt wie bislang zwei vorläufig nur noch eine Cholera-Impfdosis zu empfehlen. Damit könnte künftig mehr Impfstoff weltweit verteilt werden. Die EU hat jetzt zusätzliche 700.000 Euro zur Bekämpfung des Cholera-Ausbruches in Syrien bereitgestellt.
Schleppender Wiederaufbau des Landes
Doch um die Wurzel des Problems zu bekämpfen, müsste eigentlich der Wiederaufbau des Landes vorangetrieben werden. Doch das würde auch bedeuten, dem schon vor Jahren geäußerten Wunsch von Russlands Machthaber Wladimir Putin nachzukommen, Moskau beim Wiederaufbau Syriens zu finanziell zu entlasten. Russland hatte an der Seite von Baschar al-Assad Teile des Landes zerbombt - ohne Russland wäre Assad vermutlich nicht mehr an der Macht.
Die EU und ihre Mitgliedstaaten haben ein Engagement beim Wiederaufbau Syriens daher von tragfähigen Schritten in Richtung einer verhandelten Konfliktregelung und einer politischen Öffnung des Landes abhängig gemacht. Da das nicht in Sicht ist, beschränkt sich die Unterstützung Syriens bislang auf die Nothilfe. Ein Dilemma: "Denn Nothilfe ermöglicht nicht den Bau von Kläranlagen oder Abwassersystemen", sagt Angela Gärtner. "Wir brauchen eine funktionierende Infrastruktur - auch damit die Leute sich ihr Leben wieder aufbauen können und nicht weiter am kleiner werdenden Tropf der humanitären Hilfe hängen."