Syrer versuchen es mit der Türkei
9. April 2016Amira sieht müde aus, während sie in der glühenden Sonne vor dem Meldeamt in Izmir wartet. "Ich konnte nicht mit meinem Mann reisen, weil ich das Geld nicht hatte", sagt sie. "Jetzt, wo die Grenzen geschlossen sind und auch der Seeweg versperrt ist, gibt es einfach keine Möglichkeit mehr, dass wir zu ihm fahren können."
Jetzt warten Amira und ihre vier Kinder in Izmir auf die Registrierung als Flüchtlinge, so dass sie legal in der Türkei leben und soziale Dienste wie Gesundheitsvorsorge und Schulbildung in Anspruch nehmen können. Doch nach den Worten von Amira - und der anderen 50 Flüchtlinge, die mit ihr in der Schlange stehen - ist es fast unmöglich, sich als Flüchtling eintragen zu lassen und dann die entsprechenden Papiere zu bekommen.
"Wenn du einen türkischen Staatsbürger heiratest, bekommst du in zwei Minuten einen Personalausweis", so Amira. "Für uns Syrer ist die Sache anders."
Da ihr Mann in Deutschland lebt und es für Syrer ohne Papiere nur wenige Arbeitsmöglichkeiten in der Türkei gibt, kommt Amiras Familie kaum über die Runden. Ihre beiden Söhne, 13 und 17 Jahre alt, finden hin und wieder Gelegenheitsjobs in den Textilfabriken der Gegend. Das bringt ihnen im Monat umgerechnet rund 200 Euro ein. Doch dieses magere Einkommen deckt längst nicht die monatlichen Ausgaben der fünfköpfigen Familie in dem ärmlichen Vorort von Izmir, wo sie wohnen.
"Ich und meine Töchter bleiben einfach zuhause", sagt Amira. "Wir schlafen und schlafen und kriegen Depressionen, weil es für uns einfach nichts zu tun gibt."
Ihre 20 Jahre alte Tochter Nadia hatte in Aleppo Ingenierwissenschaften studiert. Doch sie war noch im ersten Studienjahr, als der Bürgerkrieg ihrem Studium ein Ende setzte. Sie hofft, ihre Ausbildung irgendwann fortsetzen zu können. Doch viel stärker ist ihr Wunsch, ihren Vater wiederzusehen und dass die ganze Familie wieder zusammen ist.
"Ich vermisse ihn. Wir stehen jeden Tag über Whatsapp in Verbindung", sagt sie, den Arm um ihre Mutter geschlungen, während sie auf einen Termin beim Amt warten. "Sobald es eine Möglichkeit gibt, werden wir gehen. Natürlich werden wir dann gehen."
"Im Moment wäre es Wahnsinn zu fahren"
Eigentlich fängt die "Hochsaison" für den Menschenschmuggel nach Griechenland gerade jetzt an, weil das Wetter sonniger und die See ruhiger wird. Doch viele Flüchtlinge wie Amira und ihre Familie sind wegen der jüngsten Grenzabriegelungen auf der wichtigsten Balkanroute beunruhigt und haben deswegen ihre Pläne geändert oder aufgeschoben.
Der Basmane-Platz in Izmir wurde einst wegen der vielen Syrer, die sich vor der Moschee versammelten, um Kontakte mit den Menschenschmugglern aufzunehmen und Schwimmwesten und wasserdichte Behälter für die Seereise zu kaufen, "Klein-Syrien" genannt. Doch seit die Grenze nach Mazedonien geschlossen wurde und die türkische Polizei begonnen hat, gegen die von Izmir aus arbeitenden Schleuser vorzugehen, hat das Geschäft stark nachgelassen.
"Im vergangenen Jahr habe ich jeden Tag hundert Schwimmwesten verkauft", sagt der syrische Verkäufer Hossam Ali. Er arbeitet in einem Bekleidungsgeschäft am Basmane-Platz, das einst für sein reichhaltig ausgestelltes Angebot an Schwimmwesten und allerlei schwimmbarem Material bekannt war. "Zwei Wochen lang habe ich schon keine einzige Schwimmweste mehr verkauft", sagt er. "Im Moment wäre es auch verrückt zu fahren."
Ali ist nicht der einzige, dessen Geschäfte lau sind. Läden, die früher Schlauchboote und Autoschläuche verkauften und sich damit vor allem an Schmuggler und solche Flüchtlinge richteten, die die Überfahrt auf eigene Faust versuchen wollten, haben dichtgemacht, auch wenn die Urlaubssaison vor der Tür steht.
Das Leben für Syrer in der Türkei wird nicht einfacher
Am Tag, als das Abkommen mit der EU in Kraft trat, landeten mehr neue Flüchtlinge auf den griechischen Inseln als von dort abgeschoben wurden. Doch auch wenn das EU-Türkei-Abkommen nicht alle von der Flucht nach Griechenland abhielt, hat es doch eine der wichtigsten Fluchtrouten für Syrer und andere Migranten versperrt, die ein neues Leben fernab von den Konfliktgebieten beginnen wollten.
"Seit wir hier sind, warten wir darauf, dass wir registriert werden und einfach Menschen sein können", sagt der 35 Jahre alte Mustafa aus Aleppo, der seit drei Jahren in der Türkei lebt. "Jetzt können wir nicht einmal nach Europa gehen!" Gefragt, was er jetzt tun will, hebt er die Hände zum Himmel und lacht. "Wer weiß, vielleicht schwimmen wir!"