Südkorea: Gewerkschaftsboss in Haft
10. Dezember 2015Um viertel nach elf Ortszeit begab sich Han Sang-Gyun in die Gewalt der Polizei, eine Dreiviertelstunde vor Ablauf eines verlängerten Ultimatums. Fast einen Monat hatte sich der Gewerkschafter im buddhistischen Jogye-Tempel in Seoul verschanzt, wollte so einer drohenden Verhaftung entgehen. Tausende Polizisten waren seitdem im Dauereinsatz, umstellten den Tempel, um den Chef des Gewerkschaftsdachverbands KCTA (Korean Confederation of Trade Unions) an einer Flucht zu hindern. Am Mittwoch wollten Beamte Han dann gewaltsam herausholen und besetzten den Tempel vorübergehend. Dann aber zogen sie sich wieder zurück und ließen sich auf einen eintägigen Aufschub ein, weil die Mönche zugesichert hatten, die Situation innerhalb von 24 Stunden friedlich zu klären.
"Aktuell ist der KCTA-Präsident in Haft", berichtet Sven Schwersinksy, Landesvertreter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Seoul. Er rechnet damit, dass der Staatsanwalt eine hohe Gefängnisstrafe fordern wird. "Man macht ihn für die gewalttätigen Ausschreitungen bei den Demonstrationen am 14. November verantwortlich." Zu dieser Veranstaltung hatte Han aufgerufen. Dass er selbst daran teilnahm, war für Schwersinsky eine Überraschung. Denn eigentlich war er zu diesem Zeitpunkt bereits abgetaucht.
Den Sommer über hatte er sich in der KCTA-Hauptverwaltung verschanzt, nachdem im Juni ein Haftbefehl gegen ihn ausgestellt worden war - weil er im Frühjahr zu einem Generalstreik aufgerufen hatte. "Ihm wird vorgeworfen, mit seinem Appell zu Generalstreik die Handelsfreiheit der Geschäfte und Unternehmen beeinträchtigt zu haben. Das ist nach koreanischem Zivilrecht ein Straftatbestand. Die Praxis der koreanischen Behörden, in Anwendung dieses Artikels Gewerkschafter für Streikaktionen zu bestrafen, hat die ILO wiederholt verurteilt."
Unruhiger Herbst in Südkorea
Die Verhaftung des Gewerkschaftsführers ist die jüngste Entwicklung in einem seit längerem gärenden Konflikt im Land - der sich in der Wut einer bunten Koalition von Bürgern gegen die konservative Regierung von Präsidentin Park Geun-Hye entlädt. Zweimal innerhalb eines Monats kam es deshalb zu Massendemonstrationen in Seoul - zuletzt am vergangenen Samstag. Wie viele Menschen es genau waren, die am Wochenende den Aufrufen von Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Gruppen gefolgt waren, ist nicht klar. Die Angaben gehen weit auseinander. 14.000 seien es gewesen, sagt die Polizei. Die Veranstalter gehen von 50.000 aus.
Die Demonstranten haben ganz unterschiedliche Hintergründe: Es sind verwaiste Eltern, die ihre Kinder beim Untergang der Fähre "Sewol" im April 2014 verloren haben. Schüler, Studenten und Historiker, die sich dagegen wehren wollen, dass die Regierung künftig Geschichtsbücher an Mittel- und Oberschulen vereinheitlichen und von handverlesenen Autoren schreiben lassen will. Dann sind da die Landwirte, die gegen die Kürzung von Agrarsubventionen kämpfen. Und schließlich Gewerkschafter, die gegen eine Arbeitsmarktreform protestieren, die es Unternehmen künftig einfacher machen soll, Mitarbeiter zu entlassen und außerdem vorsieht, Gehälter älterer Arbeitnehmer zu deckeln, damit Unternehmen mehr Nachwuchs einstellen.
Rüde Polizeimethoden
Organisiert wurde die Demonstration von der KCTA, eben dem Gewerkschaftsdachverband, dem der nun inhaftierte Han Sang-Gyun vorsitzt. "Die KCTA ist mächtig und einflussreich, neigt allerdings auch zur Militanz. In die Verhandlungen der Arbeitsmarktreform war sie nicht einbezogen", sagt Lars-André Richter, der Landesvertreter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Südkorea.
Von den beiden großen Demonstrationen war nur die vom 14. Dezember von Gewalt überschattet. Damals war die Situation eskaliert. Demonstranten gingen mit Metallrohren und angespitzten Bambusstöcken gegen die Polizei vor. Diese wiederum setzte Pfefferspray und Wasserwerfer ein. "Die Methoden der Polizei sind nicht deeskalierend, sondern im Gegenteil sehr konfrontativ. Sie setzen beispielsweise mobile Barrikaden ein, nutzen Polizeibusse, um Straßen zu sperren", sagt Schwersinsky. Die Polizeipräsenz sei riesig.
"Die Protestkultur in Südkorea hat ein brutaleres Gesicht als in Deutschland", erklärt Lars-André Richter. Die Gründe dafür sieht er in der jüngeren Geschichte des Landes. "Bis in die 80er Jahre hinein war Südkorea ein autoritärer Staat. Die Demokratiebewegung, die gegen das Militärregime, an dessen Spitze mit Park Chung-Hee bis 1979 der Vater der jetzigen Präsidentin stand, wusste sich Gehör zu verschaffen. Bildlich gesprochen: Allein mit Pflugscharen hat auch sie nicht operiert, auch sie hat zu den Schwertern gegriffen."
Neue Demo angekündigt
Zu verbalen Waffen griff jetzt auch Präsidentin Park im Zusammenhang mit den beiden Großdemonstrationen. Die Veranstaltung vom vergangenen Wochenende hatte sie sogar per einstweiliger Verfügung zu unterbinden versucht - war damit aber vor Gericht gescheitert. Park bezeichnete die Demonstrationen als illegal und ging sogar noch weiter. "In einer Kabinettssitzung hat sie geäußert, dass die Demonstranten für sie mit IS-Terroristen vergleichbar sind", berichtet Schwersinsky.
Dem Standing der Präsidentin haben die unruhigen Entwicklungen der vergangenen Wochen bislang noch nicht allzu sehr geschadet, meint Lars-André Richter von der Nauman-Stiftung. "Die Popularitätswerte der Präsidentin betragen in den meisten Umfragen über 50 Prozent. Sie lagen durchaus auch schon deutlich darunter." Darauf ausruhen kann Park sich allerdings nicht. Denn schon bald wird es eine dritte Demonstration geben: Für den 19. Dezember haben die Gewerkschaften zu neuen Protesten aufgerufen.